Donnerstag, 24. Februar 2011

Steige herab! Steige herab!

Um es vorauszuschicken: Weder bin ich ein besonderer Fan von Jürgen Trittin (ich hab ihm mal ein Futon geliefert, und er hat kein Trinkgeld gegeben), noch kann ich mich als großen Anhänger der Französischen Revolution bezeichnen. Doch das ändert nichts daran, dass wir in den letzten Tagen Entwicklungen erleben, die ich mit brennender Sorge 1) verfolge.

"There'll be the breaking of the ancient western code" 2) hörten wir Leonard Cohen vor bald zwanzig Jahren verkünden, und Mancher wird sich gefragt haben, was der Meister mit diesen Worten gemeint haben könnte. Cohens Texte sind selten rein assoziativ, und mit ziemlicher Sicherheit hatte er was anderes im Kopf als ich. Dennoch kamen mir diese Worte angesichts der Vorgänge, deren Zeugen wir werden, jetzt wieder in den Sinn.

Die Vorgänge sind bekannt: Dem gegenwärtigen Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland, Theodor zu Guttenberg, ist von der zuständigen Promotionsstelle bescheinigt worden, ein Plagiat begangen zu haben. Sein Titel - Dr. iur. - ist ihm entzogen worden. Grund zu einem Rücktritt von seinem Ministeramt kann zu Guttenberg daraus nicht erkennen.

Blicken wir nun zurück, blicken wir auf die vergangenen gut zweihundert Jahre seit der - eben - Französischen Revolution von 1789 und der vorangegangenen Epoche der Aufklärung, so können wir in dieser Zeit doch ein bestimmtes Muster erkennen: Es ist die Epoche des Bürgertums. Die Epoche, in der sich der einzelne Mensch das Recht auf seinen persönlichen "pursuit of happyness" 3) erkämpft hat. Das Streben nach Glück, Erfolg, Aufstieg des Einzelnen ist damit ausdrücklich sanktioniert worden.

Die erfolgreiche Leistung des Einzelnen, die - das ist mitgedacht - natürlich über das eigene individuelle Wohlergehen hinausgehen an das Morgen und die Allgemeinheit denken sollte, kann nun auf unterschiedliche Weise verdeutlicht werden. Ein "Klassiker" ist dabei natürlich der akademische Titel. Nicht ohne Grund sprechen wir vom "Bildungsbürgertum". Die Verleihung eines solchen Titels stellt eine Auszeichnung für individuelle Verdienste dar. Im Sinne des Bildungsbürgertums ist damit gerade ein Unterschied gemacht zu den nicht-individuellen, überkommenen Privilegien des Adels, die sich - zumindest theoretisch - aus der kollektiven Leistung der Vorfahren ergeben. Die Leistungen des Adels müssen dabei nichts Negatives sein! Der "dritte Stand" von 1789 hatte mit Sicherheit jeden Grund zur Kritik an den ersten beiden (Kirche und Adel), doch sind es gerade diese beiden ersten Stände gewesen, die in der Vergangenheit vor allem über den Tag hinaus gedacht haben: An das Morgen. An das, was wir heute als "Nachhaltigkeit" bezeichnen würden. In archaischen Zeiten konnte seitens des Volkes erwartet werden, dass sich der König für die Allgemeinheit aufopferte. 4) Es war, kurzum, eine Frage der Ehre.

Doch das war noch einmal eine andere Epoche. Unser "ancient western code" beginnt mit 1776 und 1789 und den Kräften, die damals am Werk waren. Mit der individuellen Leistung und der Verantwortung für die individuelle Leistung - und Fehlleistung. Theodor zu Guttenberg lehnt nun die Konsequenzen aus seiner Fehlleistung ab (das bloße Angebot, seinen Titel zurückzugeben kann kaum als angemessene Konsequenz betrachtet werden). Es ist erschreckend zu beobachten, dass sich aus dem sogenannten "bürgerlichen Lager" kaum eine Stimme erhebt, die seine Verantwortung anmahnt. Das bleibt - was natürlich wohlfeil ist - der Opposition vorbehalten. Gut, nun war es ausgerechnet der Mann mit dem Futon, der dazu einen Heroen des bürgerlichen Zeitalters bemühte, Thomas Mann, und mit Blick auf Guttenberg eine Passage aus den 'Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull' 5) zitierte. Ein ehrabschneidender Vorgang. Die Frage ist, ob sich der Gescholtene dagegen wehren kann. Er kann es nicht. Die Promotionsstelle hat ihm ausdrücklich bescheinigt, dass seine mit der Dissertation eingereichte ehrenwörtliche Erklärung falsch war.

Dass ein Minister unter diesen Voraussetzungen in einem bürgerlichen Zeitalter im Amt bleibt, ist unvorstellbar. Und doch scheint genau das der Fall zu sein.

This is the breaking of the ancient western code. Wir leben an einer Zeitenwende, und das, was hier heraufdämmert, ist nicht etwa die Renaissance eines vorbürgerlichen Zeitalters. Der Adel dieser vorbürgerlichen Zeit war nämlich sehr wohl fähig zu persönlichen Konsequenzen, zur persönlichen Demütigung - auch im Namen der Ehre. Ehre nämlich, wie mein Mentor einmal formulierte, Ehre hat man - oder man hat sie nicht.

Konsequenzen aus nicht hinnehmbaren Taten jedenfalls wusste man auch seinerzeit schon einzufordern. Heinrich IV. aus der Familie der Salier, deutscher König und nachmals Kaiser, der sich beim berühmten Gang nach Canossa zur eigenen Demütigung in höchstem Maße fähig zeigte, in seinem Absageschreiben an Papst Gregor VII.: "Tu ergo hoc anathemate et omnium episcoporum nostrorum iudicio et nostro dampnatus descende, vendicatam sedem apostolicam relinque. Alius in solium beati Petri ascendat, qui nulla violentiam religione palliet, sed beati Petri sanam doctrinam doceat. Ego, H. Dei gratia rex cum omnibus episcopis nostris tibi dicimus: descende, descende!" 6)

Steige herab, Verdammter! Steige herab! Steige herab!

Fußnoten

1) http://www.vatican.va/holy_father/pius_xi/encyclicals/documents/hf_p-xi_enc_14031937_mit-brennender-sorge_ge.html
2) http://www.leonardcohenfiles.com/future.html
3) http://www.archives.gov/exhibits/charters/declaration_transcript.html
4) http://de.wikipedia.org/wiki/Leonidas_I.
5) http://www.literaturlexikon-online.de/02_TM-Figurenlexikon/index.html
6) http://www.histosem.uni-kiel.de/legitimation/quellentext/1076absageschreiben.html

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