Dienstag, 30. November 2010

Ich Hase Dich Arschloch!

Ein frostklarer Wintermorgen im idyllischen Minden-Rodenbeck. Gut, das eine oder andere Detail im vorangegangenen Satz mag nicht völlig exakt sein (wir rekurrieren auf das 'idyllisch'), doch im Großen und Ganzen stimmt's. However ...



Ich komme aus dem Grübeln nicht raus, was der Autor mir eigentlich mitteilen wollte. Ob vielleicht eine clevere Mehrdeutigkeit angestrebt war ("Ich Tarzan, Du Jane"; "Ich Hase, Du Arschloch")? Andererseits ist das "Dich" eindeutig ein Akkusativ. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
Die Identität des Autors hat sich leider nicht klären lassen - nicht einmal die Spezies; frostklar war's aber kein nennenswerter Schnee und damit auch keine Hasenfährte. Die Großschreibung in der Anrede spricht möglicherweise für eine gewisse konservative geistige Grundhaltung.

Wie geschaffen also für das Ausflugsziel des Tages: Burg Bentheim. Hatte ich mir schon im Vorfeld auskuckt, als der Wochenendbesuch bei Schwiegermutter in Minden-Rodenbeck, dem idyllischen, anstand.



Nun ist die Borniertheit des Menschen potentiell grenzenlos (wie wir seit 'Buddenbrooks' wissen *g*). Wir tragen unsere Vorurteile mit uns rum und sehen sie beim ersten fassbaren Indiz in vollem Umfang bestätigt - ob sie nun potentiell gewalttätige Hasen in Minden-Siewissenschon anbetreffen, hinterwäldlerische Abkömmlinge der Konföderierten (mir wurde ganz übel angesichts der Bagage in der bei Schwiegermuttern aufgefundenen Karin Slaughter-Lektüre - und das waren noch die Sympathieträger) oder den Erbprinzen von Bentheim, der mich aus dem offiziellen Burgführer heraus in einem Jackett anlächelte, bei dem mich die Erinnerung an die Sesselbezüge meiner Großmutter beschlich. Wie mein Onkel gesagt hätte: "Seltsames Völkchen da in der Grafschaft Bentheim, aber Burgen bauen die ..."



Burg Bentheim ist aus etlichen Gründen spannend: Am Anfang steht die Geologie (was ja ganz passend ist). Auf dem Bentheimer Sandstein erhebt sich nicht allein die Burganlage, sondern er war jahrhundertelang - und ist bis heute - auch ein international begehrter Baustoff, aus dem der Fama nach sogar der Sockel der New Yorker Statue of Liberty besteht. Eindrucksvoll ist er auf jeden Fall, dieser Sandsteindurchbruch in einem Gebiet, das ja recht eindeutig der norddeutschen Tiefebene zuzurechnen ist.



Da er aber nun mal da war seit ein paar Millionen Jahren, lag es für die Altvorderen nahe, ihn auch zu nutzen. Die Spuren militärischer Anlagen lassen sich an diesem Ort offenbar über ein Jahrtausend hinweg zurückverfolgen. Kaum verwunderlich ist Burg Bentheim eine der ganz wenigen Höhenburgen der Tiefebene.
Die heutige Anlage ist allerdings vor Allem in der frühen Neuzeit entstanden, bevor größere Auseinandersetzungen - namentlich der Dreißigjährige Krieg, der hier, nahe der Grenze zu den holländischen Generalstaaten, ein achtzigjähriger war - an ehrgeizige Bauprojekte nicht mehr denken ließen. Den Burgherrn zum Leid, dem Besucher des einundzwanzigsten Jahrhunderts zur Freude; so blieb das Ensemble im Wesentlichen intakt, von den historistischen Ausschmückungen des Kaiserreichs (Neuschwanstein im Emsland) mal abgesehen.



Auf jeden Fall müssen wir zur wärmeren Jahreszeit noch mal hin. Nicht auszuschließen, dass die Barockgärten dann noch inspirativer daherkommen.



Bis dahin aber - wenn nicht gar früher - bleibe ich für heute Ihr und Euer


Stephan M. Rother

PS: Aus irgendeinem Grunde scheint man in der Schweiz an der eBook-Version des Babylon-Virus einen Narren gefressen zu haben - bei bol.ch war's mehrere Tage in den Verkaufs-TopTen. Ich werde weiter berichten.

Sonntag, 21. November 2010

And though I often passed them by

Ein bisschen hab ich schon Sorge, dass mir in nächster Zeit die Zitatzeilen aus Professor Tolkiens so unerhört inspirativem Wandergedicht ausgehen. Einige Kandidaten sind wohl sowieso nicht zu verwenden – East of the Sun, west of the moon z.B. wurde weiland von A-ha als Albumtitel adaptiert und könnte zu Missverständnissen führen. We’ll see. Ggf. muss ich ins Quenya wechseln.

Für dieses Mal jedenfalls dürfte der Betreff noch, nun, trefflich passen.

Wer kennt das nicht? Da fährt oder läuft man ein Dutzend Mal achtlos an irgendwas vorbei, kriegt es vielleicht gerade noch aus dem Augenwinkel mit und denkt sich: Hey, nächstes Mal schaust Du Dir das aber richtig an. Naja, und irgendwann geht’s dann wirklich ab East of the sun usw., und man ärgert sich eine halbe … okay, eine ganze … Ewigkeit, dass man das nie gemacht hat.



Entsprechend hatte ich in den letzten Tagen das Bedürfnis nach Nägeln mit Köpfen. Hängt sicherlich auch mal wieder mit der Jahreszeit zusammen. Wenn wir die Wetterprognosen verfolgen (und ich verfolge sie intensiv), dürfte es mittelfristig deutlich ungemütlicher werden (was dann vielleicht keine dermaßen gewagte Prognose ist Ende November).



Eine ganz seltsame Sache ist es mit Bardowick. Der „Dom“ in dem sympathischen Flecken nördlich von Lüneburg kann ja stellvertretend für ein eindrucksvolles Kapitel der Geschichte stehen: Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen und Bayern i.R., kehrt nach jahrelanger Verbannung in die Heimat zurück und beschließt, dort weiterzumachen, wo er aufgehört hat. Nachbarn und Standesgenossen drangsalieren usw., Machtpolitik im mittelalterlichen Maßstab. Und nicht allein wegen der hübschen Alliteration, sondern auch, weil es ihm ein Dorn im Auge ist, dass die Stadt seinen vom Kaiser eingesetzten Nachfolger, den Askanier Bernhard, unterstützt.



Die Details der Einnahme Bardowicks – ein Ochse, der den Mannen des Herzogs eine Furt durch die Ilmenau gezeigt haben soll – mag man in den Bereich der Fama verweisen. Anderes ist immerhin gesichert: vestigia leonis lässt Heinrich am Bardowicker Dom verkünden: die Spur des Löwen. Und er hat gewaltig zugetappst, der Löwe. Die Siedlung erholt sich nie wieder vollständig. Gewinner ist das von Heinrich und seinen Nachkommen protegierte Lüneburg. Einzig bleibendes Zeichen einstiger Größe ist der Dom, obwohl auch der erst zweihundert Jahre später in seiner jetzigen Form entstanden ist. Vermutlich wollten die Bardowicker noch mal ein Zeichen setzen. Ist gelungen. Auch wenn’s schon recht finster war, als ich dort eintraf.



Das Entscheidende ist, dass ich's diesmal wirklich geschafft habe. Von Ferne betrachtet habe ich das gute Stück nämlich bereits mehrfach (von der A 250 aus ist es recht gut auszumachen) - aber eben nur wie Moses das Gelobte Land. Wobei es so ganz noch immer nicht geklappt hat, Kanaan-technisch. Ab 16 Uhr ist die Kirche verschlossen. Die oben dokumentierte Lichtverhältnisse geben vielleicht eine ungefähre Ahnung, wie spät es war. Genau. Sechzehn Uhr sieben. Sie sind verdammt pünktlich, die Bardowicker. Vielleicht war's das ja, was dem Löwen so auf den Senkel ging.



Etwas heller sah es dagegen vergangenes Wochenende aus, im wahrsten Sinne des Wortes. Meine Frau und ich hatten uns trotz subtropischer Luftmassen entschlossen, eine Exkursion zum „Höllberg“ zu unternehmen. Zu dieser Anhöhe habe ich eine besondere Beziehung, als Mensch und Autor gleichermaßen (wobei streng genommen nicht wenige Autoren nebenher auch Menschen sind). Geologisch gesehen ist der Höllberg Teil des Endmoränenriegels, der das Uelzener Becken nach Süden hin abschließt. Gleichzeitig stellt er beinahe die Verbindung zwischen den eindrucksvollen eiszeitlichen Fomationen der Hohen Heide und dem Drawehn im Hannoverschen Wendland her. Und dieses Beinahe ist entscheidend, denn ihm verdankt der Höllberg schon seinen Namen: Die Wurzel Hell- kann in älteren Schichten des Niederdeutschen nämlich für einen steilen Abgrund, eine tiefe Kuhle stehen, nicht selten also für einen Quellort. Einen Ort, an dem etwas verborgen ist (im ‚Adler der Frühe’ zum Beispiel Magister Wasmod von dem Knesebeck). Ein Ort von jener Sorte ganz besonderer Magie, die es mir bekanntlich angetan hat. Den Altvorderen sowieso – wie sich der Begriff der christlichen Hölle entwickelt hat via Zugang zum Totenreich, ist nachvollziehbar.



Hinzu kommt aber bei diesem besonderen Höllberg die biographische Verknüpfung. Am Südhang des Höllbergs hat schon meine Mutter „nach dem Krieg“ das Fahrradfahren gelernt (ist wirklich eine recht steile Strecke, schwer einsehbar; wie manche Leute da fahren, hat man den Eindruck, es könnt’ ihnen gar nicht schnell genug gehen mit der Hölle). Am eindrucksvollsten ist allerdings der Westhang der Anhöhe, der Punkt nämlich, an dem die Ilmenau von Süden her die Endmoränenstaffel durchbricht und ins Uelzener Becken eintritt. Eindrucksvoll natürlich nach Maßstäben der norddeutschen Tiefebene! In Nordostniedersachsen darf man keine Loreley erwarten.
Ich selbst wollte mir den Ort jedenfalls unbedingt mal wieder ansehen, nachdem ich – zumindest am Ostufer des Flusses – zuletzt vor fünfundzwanzig oder dreißig Jahren mit meinem Großvater dort war, dem Meister Emil aus dem ‚Adler der Frühe’. Heute wüsste ich zu gerne, ob er auch „diesen Blick“ hatte. Leider hat er das nie verraten, mir jedenfalls nicht. Er schätzte mich nicht sonderlich. Damals waren wir zum Schwimmen hier, was uns als Kindern sehr, sehr abenteuerlich vorkam – und vermutlich auch ziemlich abenteuerlich war, wenn auch vor allem auf Grund der Wasserqualität zu diesem Zeitpunkt.



Diesmal jedenfalls war alles anders. Auch hier möchte ich über den Besuch selbst nicht zu sehr ins Detail gehen. Die Bilder, denke ich, sprechen für sich. Copyright der Höllberg-Fotos by meine Frau.

Ich muss da unbedingt in den nächsten Monaten noch einmal hin. Die Frage ist eigentlich nur, wie stark die Schüttung der Druckhangquellen nun wirklich ist. Auf den ersten Blick sieht’s nicht so gewaltig aus, aber wir haben im Wasser Stichlinge gesichtet, und die sind eigentlich recht empfindlich. Doch wir werden sehen. Wenn das Gewässer leidlich still ist, bekommen wir dann zumindest ein wenig Variation im Betreff … „Hell freezes over“.

Bis dahin, wenn nicht vorher, bleibe ich Ihr und Euer


Stephan M. Rother

PS: Mein aktuelles opus, due out im Herbst 2011, bin ich jetzt auf Romanlänge. Doch davon mehr – demnächst.

Donnerstag, 11. November 2010

Von Liebe und Bettkanten

Einen interessanten Service bietet neuerdings das Forum Lovelybooks - Bestenlisten der besonderen Art nämlich.

Ich gebe zu, ein kleines bisschen wird mir schon warm ums Herz, wenn ich feststelle, dass ich dort in der Kategorie "Diese Autoren mögen ihre Leser" auch ein kleines Plätzlein gefunden habe (gegen Ende, auf Platz 29, den ich mir mit sechs anderen Autoren teile. Also noch mehr herzerwärmende Nähe). Gut, ich habe drei Punkte bekommen, Sebastian Fitzek hat schlappe hundertfünfzig, aber trotz alledem ... Der hat schließlich auch Haare. Unfairer Vorteil. Kein Wunder, wenn ihn dann ...

Entschuldigung. Jetzt kam gerade das böse Erwachen. Für einige Sekunden war ich dann doch ein wenig verschnupft, als ich diese andere Kategorie entdeckte: "Autoren, die wir nicht von der Bettkante stoßen würden". Und wer ist nicht dabei? Moi!


Aber dann hab ich gesehen, dass dort sowohl xx. xxxxxxxx xxx xxxxxxxxxxxx* als auch Professor Tolkien seligen Gedächtnisses auftauchen - und überlege seitdem, was ich eigentlich gruseliger finde. Vielleicht geht's in diesem Fall dann doch um sehr individuelle Befindlichkeiten.

Warum erscheint da eigentlich Diana Gabaldon nicht? Die ist doch wirklich niedlich. Und meine Frau??? Banausen! Wisst Ihr nicht, dass meine Frau auch schreibt?

Davoneilend, um die Sorgen in heißem Kakao zu ertränken bleibe ich an dieser Stelle Ihr und Euer


Stephan M. Rother

* Name getilgt. Meine Frau hat mir untersagt, lebende Kollegen zu beleidigen. Muss ich durch. Hey, Welt. Dann glaub' eben weiter, dass ich mit dem Kerl ins Bett will.

Montag, 8. November 2010

Street-View

Unheimliche Begegnungen Teil II? Ein Titel, der für diese kurze Zwischenmeldung vielleicht ebenso geeignet gewesen wäre.

Wie jüngst berichtet, sind Lucy und ich ja viel unterwegs in letzter Zeit - wobei das bei den aktuell vorherrschenden Temperaturen heuer nicht immer und unter allen Umständen ein reines Vergnügen ist. Auf der anderen Seiten begegnen uns - dem Roller und mir - dann aber doch immer mal überraschende Ein- und Ansichten.

Die Leser des ersten Dorian Grave-Bandes werden sich vielleicht an die Szene erinnern, in der Hauptkommissar Rabeck und sein Assistent Yawuz "Parzival" Cornelius Waldlingens Starautor Rainer Hartheim aus einer Art Hochsicherheitsgefängnis des Staatsschutzes loseisen. Wobei dieses Gefängnis kein echtes Gefängnis ist, sondern dieser Tage ein Stück weit im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht - als Einsatzzentrale im Rahmen des Castor-Transportes ins Endlager Gorleben. Entsprechend viel ist gegenwärtig auch hier im Ort los.
Aufgenommen heute Nachmittag - ein wenig verwackelt wegen Helm und Visier.



Bei der Castor-Angelegenheit schlagen ein Stück weit - aber auch nur ein Stück weit - zwei Herzen in meiner Brust. Zum Einen bin ich wie jeder denkende Mensch der Meinung, dass Atomenergie eine gefährliche und kaum zu verantwortende Angelegenheit ist. Wer auch immer das zum Ausdruck bringt, hat meine Unterstützung. Auf der anderen Seite legitimiert der Ausdruck einer Meinung in meinen Augen keine Gewalttätigkeiten. Wenn irgendwelche Menschen anfangen, das Gleisbett zu unterhöhlen, auf dem in allernächster ein Gefahrguttransport stattfindet, wenn versucht wird, bemannte Einsatzfahrzeuge der Hoheitsgewalt anzuzünden - dann gibt es für mich keine Grauzone mehr. Dann fehlt mir jedes Verständnis. In solchen Momenten überkommt mich ein gewisses Unwohlsein, dass die Vertreter der Staatsgewalt oft etwas schlecht wegkommen in meinen Romanen.
In diesem Moment jedenfalls stehe ich vollständig auf ihrer Seite.

Ich musste das einfach mal loswerden.