Freitag, 31. Juli 2009

Man hat sich bemüht

Ein zweiter Teil, verehrte potentielle Leserschaft, ist immer eine etwas merkwürdige Angelegenheit. J.D. Salinger hat bekanntlich vor kurzer Zeit alle möglichen und unmöglichen Hebel in Bewegung gesetzt, um die von einem schwedischen Autor geplante Veröffentlichung einer Fortsetzung seines catcher in the rye zu verhindern. Nun hat man von Salinger seit etwa einem halben Jahrhundert quasi ausschließlich im Kontext gerichtlicher Auseinandersetzungen gehört, und ... Jedenfalls: Es gibt Autoren, die schreiben den zweiten Teil eines Romans selbst, und sie tun es sogar ganz freiwillig.

Wer meine Postings an dieser Stelle in den vergangenen Monaten verfolgt hat, weiß, dass auch mich in der ersten Jahreshälfte ein solcher zweiter Teil umgetrieben hat - der Fluch des Dorian Grave in diesem Fall, ein neues Abenteuer um Leonie Hartheim und ihre Freunde, allesamt Fans des namengebenden, verblichenen Goth-Rock-Idols Dorian Grave. Seit Mitte Juli flucht jetzt mein Lektor Harald Kiesel ob dieses Elaborats. Ich bin schon äußerst gespannt auf seine Anmerkungen und bereite mich derweil ... nein, nicht auf einen dritten Teil vor (den wird es in dem Moment geben, in dem die Story von Neuem Anlauf nimmt und mich, frei nach Wolfram von Eschenbach, anspringt). Nein, ich arbeite zwar an einer Fortsetzung, verwandle mich dabei aber wiederum von einem sechzehnjährigen Gothic-Teenie in einen Restaurator von Mitte dreißig. Mit anderen Worten: Amadeo Fanelli ahnt noch nicht, welch neue Fährnisse seiner harren, aber ich ahne es. Eigentlich ist es sogar mehr als eine Ahnung. Exakt handelt es sich um ein vierseitiges detailliertes Exposé, an dem ich in diesen Tagen letzte Hand anlege. Sobald ich zufrieden bin, wird's Ereignis. Wahrscheinlich werde ich dazu in den kommenden Tagen noch einmal das Pergamon Museum aufsuchen.

Solche Inspirationen, die verehrte potentielle Leserschaft kann das ja regelmäßig verfolgen, sind wichtig für mich. Ich muss visualisieren. Ich muss ein Bild im Kopf haben, einen Klang, einen inneren Soundtrack zu dem Buch, an dem ich gerade arbeite. Für das neue Projekt könnte das Depeche Modes Songs of Faith and Devotion sein, eine Veröffentlichung, die so inspiriert und spirituell ist, wie es das aktuelle Album (Sounds of the universe) gerne wär'. Natürlich gibt es daneben ständig weitere, neue Anregungen durch Wort, Bild und Klang. Ich werde häufig gefragt, was ich eigentlich selbst lese. Einige Rezensenten scheinen besessen von der Vorstellung, ich würde Dan Brown rauf und runter studieren, dabei kenne ich ausschließlich die erste CD einer Hörfassung eines seiner zwei oder drei Bücher ... Eine obskure Geschichte über einen Einbruch im Louvre, bei dem die Protagonisten entkommen, indem sie irgendwie einen Sender oder ein Handy auf einen vorbeifahrenden LKW schmeißen und sich selbst im stillem Kämmerlein verstecken. Mit Verlaub, aber das gab's bei Colt Seavers jede Woche im Vorabendprogramm. Und die Story als solche - sie wird ja ausreichend kolportiert. Ich vermag nicht nachzuvollziehen, was daran reizvoll sein soll nach Umberto Eco. Wenn ich Eco und Colt Seavers kenne, was brauch' ich noch Herrn Brown? Vermutlich kennen seine Leser weder den einen noch den anderen. Sonst habe ich keine Erklärung.

Ich glaube, dass neue Ideen wichtig sind. Eine Geschichte, die von innen kommt, und in der der Autor so viel von sich gibt, wie er nur kann. "Man hat sich bemüht" lesen wir auf dem Grabstein von Willy Brandt, und ich finde, das kann von jedem Menschen erwartet werden zu jeder Zeit. Aus welcher Perspektive man meine Geschichte dann verfolgt, ist gar nicht so wichtig. Wenn es eine gute Geschichte ist, kann ich sie als Unterhaltungsroman lesen oder von mir aus auch als Literatur (wobei ich weder Walser, noch Böll, weder Grass, noch Frisch bin. Ich bin nicht mal Daniel Kehlmann. Aber Arno Schmidt, den mag ich, vielleicht weil er vor vierzig oder fünfzig Jahren an den gleichen Orten gewandert ist, an denen ich heute unterwegs bin, und uns gemeinsame Inspirationen verbinden).

Anfang der Woche waren wir an der Quelle an der Rückseite des Uelzener Krankenhauses, an der vergangenes Jahr die Bilder zum ersten Grave Video entstanden sind. Ein Eindruck, der mich ins Grübeln gebracht hat.

Der Blick im Juli 2008 - und im Juli 2009:



Erschreckend? Erschreckend.

Doch beim Erschrecken darf es eben nicht bleiben. An dieser Stelle müssen wir anfangen, uns Mühe zu geben.

Darüber, verehrte potentielle Leserschaft, werde ich in Kürze an dieser Stelle berichten und bleibe bis dahin Ihr und Euer


Stephan M. Rother