Montag, 31. Oktober 2011

Renaissance!

In der F.A.Z. interessante Gedanken von Peter Richter zur Borgia-'Verfilmung' im ZDF und der Berliner "Gesichter der Renaissance"-Ausstellung: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/renaissance-der-renaissance-ist-das-mittelalter-endlich-vorbei-11502292.html

Prägnant stellt Richter dar, dass 'Renaissance' (ähnlich wie das Mittelalter) ein Begriff aus dem _Nachhinein_ ist und in ihren landläufig bekannten typischen Charakteristika mehr über die Epoche aussagt, in welcher der Begriff geprägt wurde (das bürgerliche neunzehnte Jahrhundert) als über den bezeichneten Zeitraum selbst. Allerdings verkennt Richter - gerade im Hinblick auf die 'Mittelaltermarkt'-"Kultur" - den eigentlichen Antrieb von Konsumenten und Akteuren dieser 'Bewegung': Nach allen meinen Erfahrungen mit dieser Szene hat die Mentalität dort stets die geringste Rolle gespielt, und zur Weltflucht taugt das Eine wie das Andere:
Renaissance = Mittelalter mit edleren Klamotten und mehr nackter Haut.

Nicht ohne Grund firmiert der heimische Mittelaltermarkt andernorts als "Renaissance Fair".

New Skin for the old ceremony!

Sonntag, 30. Oktober 2011

Große Literatur

Dreiundvierzig Jahre, wie ich kürzlich auf Nachfrage zu Protokoll gab, so alt werde ja nun kein Schwein. Wie eilige Recherchen dann gottlob ergeben haben, war es nicht notwendig, mich rückwirkend zu korrigieren: Selbst Miss Piggy hat erst 1976 das Bühnenlicht erblickt. Wobei Damen (und Diven schon überhaupt) bekanntlich ein Alter von 37 ohnehin nicht überschreiten.

Wie auch immer: Ich trage die Jahre mit Würde und darf mich auch an dieser Stelle noch einmal (bzw. schon einmal, so weit ich mit dem Beantworten noch nicht nachgekommen bin) für die Glückwünsche bedanken.

Ein besonderes Geschenk - Anlass dieses Eintrags - hat mir meine Frau gemacht: Wie schon ein, zweimal angesprochen, lebte vor gar nicht so schweinemäßig langer Zeit einem anderen hinterletzten KAFF nicht weit von hier schon einmal ein etwas absonderlicher Büchermensch, an dem sich die Geister schieden.

Arno Schmidts "Zettels Traum" darf als opus magnum gelten, in jeder Beziehung. Die Größenverhältnisse werden selbst hier noch nicht recht deutlich:



Jedenfalls wiegt das gute Stück einen gefühlten (und gefüllten) Zwölferpack Milchkartons. 1.334 DIN A3 Seiten mit der Schreibmaschine. Soweit das quantitative Elemente - wobei Schmidt noch nie die Sorte Literatur zum "eben mal weglesen" war. Multilingual, hermetisch dicht, voller Sprachschöpfungen, multilingualer Anspielungen. Die Lektüre wird eine Herausforderung. Wenn ich jede Woche eine Seite schaffe, bin ich noch vor meinem Siebzigsten durch.

"Und was willst du damit?", erkundigte sich mein Vater gestern. "Willst Du das in einem Vortrag einbauen?"
(Zur Erinnerung: Ich halte nun seit über drei Jahren keine Vorträge mehr.)
Nein, man mag es nicht glauben, aber ich lese tatsächlich (auch) zum Vergnügen, oder sagen wir, zur "Kür". Alles, was über die Bestsellerlisten hinausgeht, betrachte ich nicht mehr als Pflichtprogramm. Das Pflichtprogramm ist nämlich eindeutig definiert als das, was andere freiwillig lesen. Krude, abstrus, schwer verdaulich wird mein Geschreibsel nach aller Erfahrung von alleine. Des "populären Faktors" wegen wegen konsumiere ich populäre Literatur.

Aktuell auf der Agenda: Cody Mafadyen - "Ausgelöscht".
Gerade erst angefangen, noch keine hundert Seiten. Noch sind wir dabei, zu rekapitulieren, wie und wo die Protagonisten sich ihre diversen körperlichen oder seelischen Gebrechen zugezogen haben. Ich erinnere mich, dass der Vorgängerband mir bei fortschreitender Lektüre immer besser gefallen hat. Vielleicht kommt das ja noch.

Unmittelbar vorher hatte ich "Hexenkind" von Sabine Thiesler am Wickel - und war angenehm überrascht. Überzeugende Figuren, eine durchaus 'dichte' Sprache (nicht über jeden Zweifel erhaben, aber wenn ich auf Fehler stoße und mich _nicht_ über sie ärgere, ist das ein gutes Zeichen). Neugierig habe ich mir einmal die Amazon-Besprechungen angeschaut. Keine gute Idee. Auf die Idee, dass mir die Figuren eines Romans "sympathisch" sein sollten, bin ich glaube ich noch nie gekommen. Sie sollten vielmehr überzeugend und echt sein. Dann macht es mir auch Freude, ihren Erlebnissen zu folgen.

Was bei der "Hexenkind" vorangegangenen Lektüre nicht der Fall war. "Eisige Nähe" (die Titelwahl bleibt ein Rätsel) von Andreas Franz. Figuren ohne jeden erkennbaren Charakterzug (bzw. behauptete Charakterzüge, die aber durch das tatsächliche Verhalten der Figuren ad absurdum geführt werden), das allzeit populäre Thema Kinderhandel dermaßen reißerisch und naiv aufbereitet, dass es dem (scheinbaren) Anliegen Schaden zufügt, dümmlichstes Schubladendenken (die dekadenten Reichen "da oben", die sich mehr und mehr alles erlauben dürfen vs. den kleinn braven Bürger), zigfache seitenlange Redundanzen. 'Eine blickdichte Hecke schützte vor neugierigen Blicken' erfahren wir im Text. Der Name des zwischenzeitlich verstorbenen Autors auf dem Cover wird mich künftig vor der Lektüre schützen.

Hm. Und wieder ist es hin, eines der hochheiligen Vorhaben zum neuen Lebensjahr. Ich hatte mir ernsthaft vorgenommen, mich nicht mehr so aufzuregen ...


(gesehen im Scriptorium des Kloster Mariental bei Helmstedt)

Nun, stattdessen werden wir in an dieser Stelle sehr, sehr bald mit einer wirklich relevanten Neuigkeit aufwarten, versprochen.

Für hier und heute allerdings bleibe ich bis dahin Ihr und Euer


Stephan M. Rother