Dienstag, 15. März 2011

Dichtung und Wahrheit (3): Die Sache mit Rom

Vorweg: Eine sehr hübsche und engagierte Besprechung der Babylon-Geschichte seit letzter Woche im Blog von Àlfkonas Märchenwelt. Viel Spaß beim Lesen!

Nun aber die Fortsetzung unserer Tour durch das noch nicht ansatzweise enthüllte Geflecht von Dichtung und Wahrheit in Amadeos zweitem Abenteuer.

Das Babylon-Virus
Achtung: Spoiler


1) Nachdem wir bereits im vergangenen Posting mit einer vage unappetitlichen Szene eingestiegen sind, machen wir doch gleich mit der nächsten weiter. Da sind Amadeo Fanelli und Rebecca Steinmann auf dem cimitero acattolico in Rom unterwegs, auf der Suche nach dem Grabe des verstorbenen August von Goethe. Nun wird jeder, der das Gräberfeld zu Füßen der Aurelianischen Stadtmauer einmal besucht hat, bestätigen können, dass man sich dort tatsächlich verlaufen kann. Nachts sowieso - jedenfalls gehe ich davon aus; ich war noch nie dort um diese Uhrzeit. Wahrheit ist auf jeden Fall, dass das gesamte Gelände nach Einbruch der Dunkelheit besonders gesichert ist. Wahrheit ist ebenfalls, dass das schon historische Gründe hat in der Hauptstadt der katholischen Christenheit. Selbst Amadeos Bemerkung, im neunzehnten Jahrhundert wären die Begräbniszüge von Nichtkatholiken in Rom noch mit Unrat beworfen worden, entspricht der Wahrheit. Eine Übersichtskarte der Situation auf dem cimitero findet sich auf der offiziellen Seite des Friedhofs.

2) Nicht weniger wirr und irr als der protestantische Gottesacker präsentiert sich in unserer Geschichte allerdings der Moloch Rom selbst. Sei es dottore Fanellis von allerlei Panikreaktionen begleiteter Spaziergang am ersten Tag, sei es Rebeccas Parkplatzsuche angesichts eines Streiks der römischen Verkehrsbetriebe Tags darauf oder gar der Weg durch den nächtlichen Parco della Resistenza am dritten (mitsamt einer meiner persönlichen Lieblingsszenen, Stichwort: 'Drück mich gegen die Wand!') - jedes Mal entsteht ein labyrinthischer, vielleicht auch vage klaustrophobischer Eindruck, was wohl in einer Millionenstadt, die sich mit einer tödlichen Seuche konfrontiert sieht, nicht weit von der Wahrheit entfernt sein dürfte.
Nun lässt sich zwar per GoogleMaps ein recht flotter Überblick gewinnen: Bei der Maps-Suche "chiesa di santa sabina" eingeben. Ergebnis A führt uns in die richtige Region - es lohnt sich übrigens, auf "Satellit" umzuschalten. Ziemlich genau südlich (also weiter unten auf der Karte) finden wir dann die "Via Oddone di Cluny", die Adresse der Officina di Tomasi. Gegenüber der Einmündung in die Viale Manlio Gelsomini ist dann auch der "Parco della Resistenza dell'Otto Settembre" zu erkennen. Da nun aber Amadeo Fanellis Arbeitsstätte selbst in der Bereich der Dichtung zu verweisen ist, habe ich die Ortsbezeichnung jeweils ein wenig verkürzt, nämlich zur Via Oddone (Oddone di Cluny, zu deutsch "Otto von Cluny", war der spätere Papst Urban II.; derjenige Papst übrigens, der die Kreuzzüge losgetreten hat) bzw. dem Parco della Resistenza (die Anfügung mit dem Otto Settembre hat nun wiederum nichts mit einem Otto zu tun, sondern schlicht mit dem Datum des achten September; man erinnert sich vielleicht an Kevin Kline, der in "Ein Fisch namens Wanda" darauf besteht, 'Otto' sei ein italienischer Name).
Noch etwas weiter südlich haben wir dann an der großen Kreuzung die Porta di San Pietro und die Cestius-Pyramide; links angrenzend den cimitero acattolico und weiter rechts das Stadtviertel, durch das Amadeo am ersten Abend irrt. Die Caracalla-Thermen sind in der Satelliten-Ansicht sehr eindrucksvoll auszumachen.
So weit der angesprochene Überblick. Nun düst dottore Fanelli nebst Gefährtin aber nicht im Tiefflug über die Ewige Stadt, sondern ist zu Fuß unterwegs, und da kann dann von Überblick schon viel weniger die Rede sein. Doch auch das lässt sich in der brave new virtual world nacherleben. Ziehen wir an unserem Ausgangspunkt, der Chiesa di Santa Sabina, einfach das StreetView-Männchen (oranges Männchen oberhalb von dem Schieberegler, mit dem man ein- und auszoomen kann) auf die vorgelagerte Straße, die "Via di Santa Sabina", so können wir uns durch die Gassen rund um Amadeos Arbeitsstätte bewegen. Wenden wir uns dabei auf der Via di Santa Sabina nach Südwesten (also Richtung unten links; im kleinen Karten- bzw. Satellitenansichtsfenster wird angezeigt, in welche Richtung wir gerade schauen. Erfordert ein wenig Übung, aber selbst ich hab's irgendwann hingekriegt). Folgen wir der Straße nun immer weiter geradeaus ... und weiter ... genau, noch weiter. Sieht zwar aus, als ob man gleich gegen eine Mauer stößt, aber der Aufnahmewagen ist hübsch einen Bogen gefahren. So, und jetzt, kurz bevor die Orientierungslinie einen Knick macht, erreichen wir einen schweinegroßen freien Platz, auf dem ein paar hundert Fahrzeuge halten könnten - stände da nicht zu Füßen einer nicht sonderlich vertrauenerweckenden Mauer ein Einsatzwagen der örtlichen Carabinieri. Und die beiden Herren, die daneben warten: Babylon-Virus, Seite 72 f. - die Nasen kennen wir doch! Da es noch keine italienische Übersetzung des Romans gibt, ahnen sie vermutlich noch nichts von ihrer literarischen Berühmtheit.
Mir bleibt jetzt eigentlich nur, Ihnen viel Spaß zu wünschen, wenn Sie Amadeos Revier vielleicht ein wenig erkunden. Bewegen Sie sich rund um den Parco della Resistenza, entdecken Sie die Bushaltestelle an der Einmündung der Via Oddone (ja, genau die, die bestreikt wird), kehren Sie auf der Viale Aventino in Amadeos Stammbistro ein oder schauen Sie mal auf der Via Caio Cestio vorbei, wo Amadeo und Rebecca auf das Friedhofsgelände klettern. Gegenüber auch das Geschäftsgelände, wo finstere Gestalten (diesmal nicht im Bild) von einem Flachdachgebäude aus die Vorgänge auf dem cimitiero verfolgen.

Es ist ein spannendes Erlebnis, Rom auf diese Weise zu erkunden - und lehrreich dazu. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Und sei es, dass Sie einen Roman in der Ewigen Stadt spielen lassen, obwohl Sie seit Jahren nicht dort gewesen sind.

Das funktioniert, wetten?

Wobei, meine ganz persönliche Empfehlung: Das komplette Bild bekommen Sie am Sichersten, indem sie ganz einfach den Roman lesen.

Bis zum nächsten Mal bleibe ich Ihr und Euer


Stephan M. Rother


Nachbemerkung: Ein Detail sollte ich noch anfügen. Ich habe keinerlei zuverlässige Hinweise darauf, dass der "Parco della Resistenza dell'Otto Settembre" nach Einbruch der Dunkelheit tatsächlich ein irgendwie zwielichtiger Ort wäre. Das ist jetzt keine Empfehlung, ihn zu Nachtzeiten aufzusuchen oder umgekehrt ein Rat, es nicht zu tun, weil's ja doch nichts Spektakuläres zu sehen gäbe. Denn man kann ja nie wissen: Wenn vielleicht doch mal die italienische Übersetzung kommt, könnte das ganz, ganz anders aussehen.

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