Mittwoch, 3. August 2016

Lektüre

Mir ist da vorhin etwas zu Bewusstsein gekommen: In den letzten Tagen ist hier ja eine ganze Menge die Rede von "Der Turm der Welt", von meinem Besuch in Reinbek anlässlich von "Der Turm der Welt" und von der Leserunde zu "Der Turm der ..." Schon klar: Ich denke, den meisten Lesern ist dann nicht verborgen geblieben, das ein neues Buch von mir erscheint. Deshalb heute einmal Atem holen - denn das habe auch ich in den letzten Wochen getan: Atem geholt. Und zwar beim Lesen. Vielleicht ist es ganz interessant, einen Blick nicht nur auf den Output, sondern auch auf den Input eines Autors zu werfen.

 Also: Insgesamt habe ich seit Anfang Juni natürlich wesentlich mehr gelesen als hier im Beispiel dargestellt. Diese Zeit - zwischen zwei eigenen Büchern - nutze ich aus, so gut es geht. Während ich an einem Manuskript arbeite, lese ich nämlich überhaupt nicht; jedenfalls keine Romane. Die Sorge, dass etwas abfärben könnte vom Stil des jeweiligen Autors, ist einfach zu groß.


Beginnen wir oben in der Mitte und dann gegen den Uhrzeigersinn (wär ganz clever gewesen, die Bücher anders hinzulegen, aber das ist jetzt so): Erik Larson, "Der Untergang der Lusitania" und Peter Wende, "Das Britische Weltreich" stehen stellvertretend für die vier- oder fünftausend Seiten Sachliteratur, die ich im Vorfeld eines neuen Monferat-Titels durcharbeite. Keineswegs nur Literatur zu dem konkreten Gegenstand, über den ich schreiben will, sondern eine Menge drumherum, um mich in die Zeit einzufuchsen. Der eine oder andere Titel kommt dabei eher schwergängig daher (der Band von Wende ist recht wissenschaftlich gehalten), während bei anderen Veröffentlichung - Larsons Lusitania-Titel - das Lesen richtig Spaß macht. (Ich will jetzt nicht von "spannend" sprechen; im konkreten Fall ist ja recht klar, wie's ausgeht.)

Nun aber zu der wirklich entspannenden Lektüre: Hemingways riesengroße kleine Erzählung mit ihren vielfachen Bedeutungsschichten, ihren Anklängen an biblische Motive wie die Versprechen der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, Leben, Freiheit und das Streben nach Glück. Ein bisschen wie am Ende des Goetheschen Faust (zweiter Teil): Eröffn'ich Räume vielen Millionen. / nicht sicher zwar, doch tätig frei zu wohnen. - Das alles hat mir dann in den letzten Wochen unter dem Eindruck der Anschläge und Amokläufe sehr geholfen. Das Bewusstsein, was wir eigentlich verteidigen gegen die Attentäter: Unser Recht, unser Leben unserem Wesen gemäß einzurichten. ("I am involved in a freedom ride protesting the loss of the minority rights belonging to the few remaining earthbound stars. All we demanded was our right to twinkle." Marilyn Monroe. Ein Satz der leitmotivisch auch über dem 'Turm der Welt' steht.)

Logisch würde jetzt "Kruso" anknüpfen, aber ich hab die Bücher eben anders hingelegt. T.C. Boyle war ein Wagnis. Ich hab diesen Autor bis heute vermieden, weil ich festgestellt habe, dass ich ein Problem habe mit "Kultautoren". Weder mit Terry Pratchett noch mit Douglas Adams kann ich sonderlich viel anfangen. Boyle dagegen schreibt einfach wunderschön, in gut gelauntem Tonfall und doch präzise bis ins einzelne Wort hinein. Eine Reportage, wie sich ein Mensch auf der Jagd nach einer großen Vision verändert, wie er die Bedürfnisse anderer Menschen beiseite drängt (auch hier nur eine von mehreren Bedeutungsebenen): Das ist sehr eindrucksvoll. Vielleicht ist es dem Schreibberserker auch einfach nur recht nahe.

Nun, bei Kruso, geht es wieder um die Freiheit. Wie sie gemeint ist, wie sie gelebt werden kann, und wie leicht sie verspielt wird, wenn Menschen dem Missverständnis unterliegen, Freiheit bedeute, dass ich tun und lassen kann, was mir gerade in den Kopf kommt, und zur Hölle mit den Konsequenzen. Angesiedelt im Mikrokosmos der Aussteiger (die, richtig gelebt, gerade so viel mehr sind als Aussteiger) auf der Insel Hiddensee im letzten Sommer der DDR: ein gewaltiges Buch, das ich atemlos durchgelesen habe.

Ja, und damit ... Jeffrey Archer. Ich gestehe, dass ich die Clifton-Reihe erworben habe, weil sie scheinbar ein ähnliches Publikum anspricht wie Monferat. Scheinbar. Die Cover sind hübsch. Hätte ich die Bücher niemals aufgeschlagen, hätte ich weiter dran geglaubt. - Mir ist ja bewusst, dass reine Unterhaltungstitel eigenen Gesetzen gehorchen, doch auch reine Unterhaltungstitel lassen sich doch gut oder schlecht schreiben. Und diese Bücher sind schlecht. Die Figuren sind wie mit dem Vorschlaghammer gezeichnet, eine wie auch immer geartete Entwicklung findet nicht statt. Die Handlung ist zum Verzweifeln vorhersehbar. Die Zeitumstände fließen in homöopathischer Dosis ein, und der Autor bekommt es hin, sie selbst da noch zu verbiegen. Wenn augenscheinlich eine "Botschaft" vermittelt werden soll, so ist diese von weltanschaulich zweifelhafter Natur: Ein anständiger Mann drückt sich nicht vor dem Dienst an der Waffe. Jawoll! - Da war "Vom Winde verweht" schon weiter.

Zum versöhnlichen Abschluss nun aber ein Beispiel für einen wirklich gut gemachten, vielschichtigen Unterhaltungstitel. Hell-Go-Land vereint die archetypische Konfrontation zwischen Mensch und Natur mit einem überzeugenden Personeninventar und einem klassischen whodunit-Plot, der den Leser lange rätseln lässt. Das Ganze unter Umständen, die nicht anders als mit dem Wort klaustrophobisch zu beschreiben sind. Über die Identität des Autors darf gerne gerätselt werden, und - nein - ich bin es nicht. Ich bin Rother, ich bin Monferat, und den dritten darf ich nicht verraten, aber ich bin nicht Tim Erzberg. Auch wenn ich einen Moment lang wünschte, ich wär's. Dieses Buch hätte ich doch recht gerne geschrieben.

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