Sonntag, 21. November 2010

And though I often passed them by

Ein bisschen hab ich schon Sorge, dass mir in nächster Zeit die Zitatzeilen aus Professor Tolkiens so unerhört inspirativem Wandergedicht ausgehen. Einige Kandidaten sind wohl sowieso nicht zu verwenden – East of the Sun, west of the moon z.B. wurde weiland von A-ha als Albumtitel adaptiert und könnte zu Missverständnissen führen. We’ll see. Ggf. muss ich ins Quenya wechseln.

Für dieses Mal jedenfalls dürfte der Betreff noch, nun, trefflich passen.

Wer kennt das nicht? Da fährt oder läuft man ein Dutzend Mal achtlos an irgendwas vorbei, kriegt es vielleicht gerade noch aus dem Augenwinkel mit und denkt sich: Hey, nächstes Mal schaust Du Dir das aber richtig an. Naja, und irgendwann geht’s dann wirklich ab East of the sun usw., und man ärgert sich eine halbe … okay, eine ganze … Ewigkeit, dass man das nie gemacht hat.



Entsprechend hatte ich in den letzten Tagen das Bedürfnis nach Nägeln mit Köpfen. Hängt sicherlich auch mal wieder mit der Jahreszeit zusammen. Wenn wir die Wetterprognosen verfolgen (und ich verfolge sie intensiv), dürfte es mittelfristig deutlich ungemütlicher werden (was dann vielleicht keine dermaßen gewagte Prognose ist Ende November).



Eine ganz seltsame Sache ist es mit Bardowick. Der „Dom“ in dem sympathischen Flecken nördlich von Lüneburg kann ja stellvertretend für ein eindrucksvolles Kapitel der Geschichte stehen: Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen und Bayern i.R., kehrt nach jahrelanger Verbannung in die Heimat zurück und beschließt, dort weiterzumachen, wo er aufgehört hat. Nachbarn und Standesgenossen drangsalieren usw., Machtpolitik im mittelalterlichen Maßstab. Und nicht allein wegen der hübschen Alliteration, sondern auch, weil es ihm ein Dorn im Auge ist, dass die Stadt seinen vom Kaiser eingesetzten Nachfolger, den Askanier Bernhard, unterstützt.



Die Details der Einnahme Bardowicks – ein Ochse, der den Mannen des Herzogs eine Furt durch die Ilmenau gezeigt haben soll – mag man in den Bereich der Fama verweisen. Anderes ist immerhin gesichert: vestigia leonis lässt Heinrich am Bardowicker Dom verkünden: die Spur des Löwen. Und er hat gewaltig zugetappst, der Löwe. Die Siedlung erholt sich nie wieder vollständig. Gewinner ist das von Heinrich und seinen Nachkommen protegierte Lüneburg. Einzig bleibendes Zeichen einstiger Größe ist der Dom, obwohl auch der erst zweihundert Jahre später in seiner jetzigen Form entstanden ist. Vermutlich wollten die Bardowicker noch mal ein Zeichen setzen. Ist gelungen. Auch wenn’s schon recht finster war, als ich dort eintraf.



Das Entscheidende ist, dass ich's diesmal wirklich geschafft habe. Von Ferne betrachtet habe ich das gute Stück nämlich bereits mehrfach (von der A 250 aus ist es recht gut auszumachen) - aber eben nur wie Moses das Gelobte Land. Wobei es so ganz noch immer nicht geklappt hat, Kanaan-technisch. Ab 16 Uhr ist die Kirche verschlossen. Die oben dokumentierte Lichtverhältnisse geben vielleicht eine ungefähre Ahnung, wie spät es war. Genau. Sechzehn Uhr sieben. Sie sind verdammt pünktlich, die Bardowicker. Vielleicht war's das ja, was dem Löwen so auf den Senkel ging.



Etwas heller sah es dagegen vergangenes Wochenende aus, im wahrsten Sinne des Wortes. Meine Frau und ich hatten uns trotz subtropischer Luftmassen entschlossen, eine Exkursion zum „Höllberg“ zu unternehmen. Zu dieser Anhöhe habe ich eine besondere Beziehung, als Mensch und Autor gleichermaßen (wobei streng genommen nicht wenige Autoren nebenher auch Menschen sind). Geologisch gesehen ist der Höllberg Teil des Endmoränenriegels, der das Uelzener Becken nach Süden hin abschließt. Gleichzeitig stellt er beinahe die Verbindung zwischen den eindrucksvollen eiszeitlichen Fomationen der Hohen Heide und dem Drawehn im Hannoverschen Wendland her. Und dieses Beinahe ist entscheidend, denn ihm verdankt der Höllberg schon seinen Namen: Die Wurzel Hell- kann in älteren Schichten des Niederdeutschen nämlich für einen steilen Abgrund, eine tiefe Kuhle stehen, nicht selten also für einen Quellort. Einen Ort, an dem etwas verborgen ist (im ‚Adler der Frühe’ zum Beispiel Magister Wasmod von dem Knesebeck). Ein Ort von jener Sorte ganz besonderer Magie, die es mir bekanntlich angetan hat. Den Altvorderen sowieso – wie sich der Begriff der christlichen Hölle entwickelt hat via Zugang zum Totenreich, ist nachvollziehbar.



Hinzu kommt aber bei diesem besonderen Höllberg die biographische Verknüpfung. Am Südhang des Höllbergs hat schon meine Mutter „nach dem Krieg“ das Fahrradfahren gelernt (ist wirklich eine recht steile Strecke, schwer einsehbar; wie manche Leute da fahren, hat man den Eindruck, es könnt’ ihnen gar nicht schnell genug gehen mit der Hölle). Am eindrucksvollsten ist allerdings der Westhang der Anhöhe, der Punkt nämlich, an dem die Ilmenau von Süden her die Endmoränenstaffel durchbricht und ins Uelzener Becken eintritt. Eindrucksvoll natürlich nach Maßstäben der norddeutschen Tiefebene! In Nordostniedersachsen darf man keine Loreley erwarten.
Ich selbst wollte mir den Ort jedenfalls unbedingt mal wieder ansehen, nachdem ich – zumindest am Ostufer des Flusses – zuletzt vor fünfundzwanzig oder dreißig Jahren mit meinem Großvater dort war, dem Meister Emil aus dem ‚Adler der Frühe’. Heute wüsste ich zu gerne, ob er auch „diesen Blick“ hatte. Leider hat er das nie verraten, mir jedenfalls nicht. Er schätzte mich nicht sonderlich. Damals waren wir zum Schwimmen hier, was uns als Kindern sehr, sehr abenteuerlich vorkam – und vermutlich auch ziemlich abenteuerlich war, wenn auch vor allem auf Grund der Wasserqualität zu diesem Zeitpunkt.



Diesmal jedenfalls war alles anders. Auch hier möchte ich über den Besuch selbst nicht zu sehr ins Detail gehen. Die Bilder, denke ich, sprechen für sich. Copyright der Höllberg-Fotos by meine Frau.

Ich muss da unbedingt in den nächsten Monaten noch einmal hin. Die Frage ist eigentlich nur, wie stark die Schüttung der Druckhangquellen nun wirklich ist. Auf den ersten Blick sieht’s nicht so gewaltig aus, aber wir haben im Wasser Stichlinge gesichtet, und die sind eigentlich recht empfindlich. Doch wir werden sehen. Wenn das Gewässer leidlich still ist, bekommen wir dann zumindest ein wenig Variation im Betreff … „Hell freezes over“.

Bis dahin, wenn nicht vorher, bleibe ich Ihr und Euer


Stephan M. Rother

PS: Mein aktuelles opus, due out im Herbst 2011, bin ich jetzt auf Romanlänge. Doch davon mehr – demnächst.

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