Donnerstag, 17. März 2011

What a mess (wieder einmal)

Eine der großen deutschen Buchmesse zu besuchen, ohne Terminstress, ohne Rummel um eine eigene aktuelle Veröffentlichungen - irgendwie ist das ein richtig ungewohntes Gefühl geworden. Wenn ich richtig rechne, dürfte es sieben Jahre her sein, dass wir das zum letzten Mal erlebt haben. Wir konnten uns wirklich nicht mehr erinnern, wie sich das anfühlte, dieses traumhaft leichte, schwerelose Gefühl ...


Um ehrlich zu sein: Mir tut jeder Knochen im Leibe weh. Ja, es WAR schön, und gerade die überraschenden Dinge und Begegnungen haben diesen Tag in Leipzig zu etwas Besonderem gemacht. Oh, und der Cappuccino der Messegastronomie war wirklich schweinegut. Doch das ändert nichts daran: Am Ende ist man einfach t.o.t.
Gut, das könnte mit den zwei Stunden Schlaf in der vorangegangenen Nacht zusammenhängen - schließlich liege ich in den letzten Zügen mit "Montezumas Rache", einem High Fantasy-Titel, mit dem ich kommende Woche den Baumhaus-Verlag zu beglücken gedenke, und irgendwo muss man sich die Zeit nun abknappsen. Und seitdem es vorbei ist mit der standup historisierenden Tingelei bin ich auch autotechnisch nicht mehr recht im Training.


Doch letztlich kommt es darauf an, was man aus einem solchen Tag macht. Letztendlich bin ich dann zwar mehrfach über meine Tränensäcke gestolpert, aber dennoch: Schee' war's. Auf die Begegnung mit Matthias Mensing, der mit dem Nexus e.V. den heraufdämmernden Berliner Burg-Con vorstellte, waren wir schon gefasst. Keine Chance, wir wissen, wo er zu finden ist, und so suchen wir ihn jedes Mal heim. Eine - wirklich fast unheimliche - Begegnung der dritten Art habe ich dagegen mit Jo Löffler erlebt, mit dem wir lange Zeit für verschiedene Panini-Projekte (Everquest, Hellgate, Devil may cry, 'Mystic&Entertainment'-Magazin usw.) zusammengearbeitet haben. Nichts Böses ahnend beuge ich mich über das pittoreske Cover von "Sissi die Vampirjägerin", als ich ganz unvermittelt dieses vertraute Timbre vernehme ... Ich glaube, ich hab noch mindestens eine halbe Stunde durchgegrinst. Wir müssen unbedingt mal wieder was zusammen anstellen.


Doch schließlich war es ja nun eine Buchmesse - wenn man da aufmerksam durch die Gänge wandelt, trifft man ganz unvermittelt noch auf ganz andere alte Freunde. Auch diese im Bilde festgehalten.
Nichts Dramatisches also in diesem Jahr, oder, wie Edith Passon sagen würde:

Tot, aber gut.



Tränensäcke auf sämtlichen Bildern (c) by Montezumas Rache

Bis zum nächsten Mal - dann mit weiteren Erstaunlichkeiten aus der Kategorie "Dichtung und Wahrheit" - bleibe ich Ihr und Euer


Stephan M. Rother

Dienstag, 15. März 2011

Dichtung und Wahrheit (3): Die Sache mit Rom

Vorweg: Eine sehr hübsche und engagierte Besprechung der Babylon-Geschichte seit letzter Woche im Blog von Àlfkonas Märchenwelt. Viel Spaß beim Lesen!

Nun aber die Fortsetzung unserer Tour durch das noch nicht ansatzweise enthüllte Geflecht von Dichtung und Wahrheit in Amadeos zweitem Abenteuer.

Das Babylon-Virus
Achtung: Spoiler


1) Nachdem wir bereits im vergangenen Posting mit einer vage unappetitlichen Szene eingestiegen sind, machen wir doch gleich mit der nächsten weiter. Da sind Amadeo Fanelli und Rebecca Steinmann auf dem cimitero acattolico in Rom unterwegs, auf der Suche nach dem Grabe des verstorbenen August von Goethe. Nun wird jeder, der das Gräberfeld zu Füßen der Aurelianischen Stadtmauer einmal besucht hat, bestätigen können, dass man sich dort tatsächlich verlaufen kann. Nachts sowieso - jedenfalls gehe ich davon aus; ich war noch nie dort um diese Uhrzeit. Wahrheit ist auf jeden Fall, dass das gesamte Gelände nach Einbruch der Dunkelheit besonders gesichert ist. Wahrheit ist ebenfalls, dass das schon historische Gründe hat in der Hauptstadt der katholischen Christenheit. Selbst Amadeos Bemerkung, im neunzehnten Jahrhundert wären die Begräbniszüge von Nichtkatholiken in Rom noch mit Unrat beworfen worden, entspricht der Wahrheit. Eine Übersichtskarte der Situation auf dem cimitero findet sich auf der offiziellen Seite des Friedhofs.

2) Nicht weniger wirr und irr als der protestantische Gottesacker präsentiert sich in unserer Geschichte allerdings der Moloch Rom selbst. Sei es dottore Fanellis von allerlei Panikreaktionen begleiteter Spaziergang am ersten Tag, sei es Rebeccas Parkplatzsuche angesichts eines Streiks der römischen Verkehrsbetriebe Tags darauf oder gar der Weg durch den nächtlichen Parco della Resistenza am dritten (mitsamt einer meiner persönlichen Lieblingsszenen, Stichwort: 'Drück mich gegen die Wand!') - jedes Mal entsteht ein labyrinthischer, vielleicht auch vage klaustrophobischer Eindruck, was wohl in einer Millionenstadt, die sich mit einer tödlichen Seuche konfrontiert sieht, nicht weit von der Wahrheit entfernt sein dürfte.
Nun lässt sich zwar per GoogleMaps ein recht flotter Überblick gewinnen: Bei der Maps-Suche "chiesa di santa sabina" eingeben. Ergebnis A führt uns in die richtige Region - es lohnt sich übrigens, auf "Satellit" umzuschalten. Ziemlich genau südlich (also weiter unten auf der Karte) finden wir dann die "Via Oddone di Cluny", die Adresse der Officina di Tomasi. Gegenüber der Einmündung in die Viale Manlio Gelsomini ist dann auch der "Parco della Resistenza dell'Otto Settembre" zu erkennen. Da nun aber Amadeo Fanellis Arbeitsstätte selbst in der Bereich der Dichtung zu verweisen ist, habe ich die Ortsbezeichnung jeweils ein wenig verkürzt, nämlich zur Via Oddone (Oddone di Cluny, zu deutsch "Otto von Cluny", war der spätere Papst Urban II.; derjenige Papst übrigens, der die Kreuzzüge losgetreten hat) bzw. dem Parco della Resistenza (die Anfügung mit dem Otto Settembre hat nun wiederum nichts mit einem Otto zu tun, sondern schlicht mit dem Datum des achten September; man erinnert sich vielleicht an Kevin Kline, der in "Ein Fisch namens Wanda" darauf besteht, 'Otto' sei ein italienischer Name).
Noch etwas weiter südlich haben wir dann an der großen Kreuzung die Porta di San Pietro und die Cestius-Pyramide; links angrenzend den cimitero acattolico und weiter rechts das Stadtviertel, durch das Amadeo am ersten Abend irrt. Die Caracalla-Thermen sind in der Satelliten-Ansicht sehr eindrucksvoll auszumachen.
So weit der angesprochene Überblick. Nun düst dottore Fanelli nebst Gefährtin aber nicht im Tiefflug über die Ewige Stadt, sondern ist zu Fuß unterwegs, und da kann dann von Überblick schon viel weniger die Rede sein. Doch auch das lässt sich in der brave new virtual world nacherleben. Ziehen wir an unserem Ausgangspunkt, der Chiesa di Santa Sabina, einfach das StreetView-Männchen (oranges Männchen oberhalb von dem Schieberegler, mit dem man ein- und auszoomen kann) auf die vorgelagerte Straße, die "Via di Santa Sabina", so können wir uns durch die Gassen rund um Amadeos Arbeitsstätte bewegen. Wenden wir uns dabei auf der Via di Santa Sabina nach Südwesten (also Richtung unten links; im kleinen Karten- bzw. Satellitenansichtsfenster wird angezeigt, in welche Richtung wir gerade schauen. Erfordert ein wenig Übung, aber selbst ich hab's irgendwann hingekriegt). Folgen wir der Straße nun immer weiter geradeaus ... und weiter ... genau, noch weiter. Sieht zwar aus, als ob man gleich gegen eine Mauer stößt, aber der Aufnahmewagen ist hübsch einen Bogen gefahren. So, und jetzt, kurz bevor die Orientierungslinie einen Knick macht, erreichen wir einen schweinegroßen freien Platz, auf dem ein paar hundert Fahrzeuge halten könnten - stände da nicht zu Füßen einer nicht sonderlich vertrauenerweckenden Mauer ein Einsatzwagen der örtlichen Carabinieri. Und die beiden Herren, die daneben warten: Babylon-Virus, Seite 72 f. - die Nasen kennen wir doch! Da es noch keine italienische Übersetzung des Romans gibt, ahnen sie vermutlich noch nichts von ihrer literarischen Berühmtheit.
Mir bleibt jetzt eigentlich nur, Ihnen viel Spaß zu wünschen, wenn Sie Amadeos Revier vielleicht ein wenig erkunden. Bewegen Sie sich rund um den Parco della Resistenza, entdecken Sie die Bushaltestelle an der Einmündung der Via Oddone (ja, genau die, die bestreikt wird), kehren Sie auf der Viale Aventino in Amadeos Stammbistro ein oder schauen Sie mal auf der Via Caio Cestio vorbei, wo Amadeo und Rebecca auf das Friedhofsgelände klettern. Gegenüber auch das Geschäftsgelände, wo finstere Gestalten (diesmal nicht im Bild) von einem Flachdachgebäude aus die Vorgänge auf dem cimitiero verfolgen.

Es ist ein spannendes Erlebnis, Rom auf diese Weise zu erkunden - und lehrreich dazu. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Und sei es, dass Sie einen Roman in der Ewigen Stadt spielen lassen, obwohl Sie seit Jahren nicht dort gewesen sind.

Das funktioniert, wetten?

Wobei, meine ganz persönliche Empfehlung: Das komplette Bild bekommen Sie am Sichersten, indem sie ganz einfach den Roman lesen.

Bis zum nächsten Mal bleibe ich Ihr und Euer


Stephan M. Rother


Nachbemerkung: Ein Detail sollte ich noch anfügen. Ich habe keinerlei zuverlässige Hinweise darauf, dass der "Parco della Resistenza dell'Otto Settembre" nach Einbruch der Dunkelheit tatsächlich ein irgendwie zwielichtiger Ort wäre. Das ist jetzt keine Empfehlung, ihn zu Nachtzeiten aufzusuchen oder umgekehrt ein Rat, es nicht zu tun, weil's ja doch nichts Spektakuläres zu sehen gäbe. Denn man kann ja nie wissen: Wenn vielleicht doch mal die italienische Übersetzung kommt, könnte das ganz, ganz anders aussehen.

Mittwoch, 9. März 2011

Dichtung und Wahrheit (2): Die Sache mit Goethe

So, ich hab's versprochen. Nun möchte ich auch zeitnah loslegen mit den angekündigten apokryphen Informationen.

Das Babylon-Virus
Achtung: Spoiler


1) Wir - die Leser und ich - erinnern uns an die etwas unappetitliche Szene, in der Amadeo Fanelli am Rande des Petzinsees im Trüben fischt und dabei dies und das zum Vorschein bringt (Getränkedose, gebrauchtes Kondom), nur nicht das gesuchte Depot des verblichenen Albert Einstein. Stattdessen erwähnen drei jugendliche Rabauken ganz nebenbei, dass der Bahndamm, zu dessen Füßen dottore Fanelli gerade im Schlamm wühlt, erst zu DDR-Zeiten gebaut wurde. (Die DDR wäre 'so was wie Krieg' gewesen, lässt einer der Jungs nebenbei fallen. Das Zitat ist natürlich bei Martin Sonneborn geklaut.)
Diese Erklärungen fallen in den Bereich Wahrheit. Der Bahndamm ist tatsächlich erst in DDR-Zeiten entstanden. Hintergrund war der Wunsch der Machthaber, in dieser Region eine Bahnlinie zur Verfügung zu haben, die nicht über West-Berliner Gebiet führte. Einige interessante Informationen dazu sind hier nachzulesen.

2) Schließlich - ich will den Hergang nicht zu ausführlich referieren. Das Buch lässt sich auf zwei Mal lesen. Lohnt sich, ehrlich ... Also, schließlich gelangt Amadeo letztendlich doch an die Hinterlassenschaften des Entdeckers der Relativitätstheorie, und siehe da: Am vermeintlichen Ende der Rätselfährte steht nichts anderes als ein neues Rätsel. Allerdings eines, das es in sich hat.
Nun habe ich lange hin und her überlegt, ob ich den geheimnisvollen Text des Johann Wolfgang von Goethe vollständig wiedergeben sollte oder nicht. Es ist mir nämlich gelungen, diesen Text vollständig zu, äh, rekonstruieren. Nein, um ehrlich zu sein: Selbstverständlich fallen alle im Buch eingestreuten Babylon-Überlieferungen in die Kategorie Dichtung. Das ändert allerdings nichts daran, dass Goethes Babylon-Text vollständig vorliegt, weit über die letztendlich im Roman eingestreuten Ausschnitte hinaus, auf die mehr oder minder zufällig dottore Fanellis oder Professor Helmbrechts Auge fällt. An dieser Stelle sei nun der Gesamttext erstmals der Öffentlichkeit zuständig gemacht. (Mein Rat: Der Leser stelle sich einen alten Herrn mit Schnapsnase und Nickelbrille vor, der die Worte etwas übertrieben deklamiert. Dann wird's noch eindrucksvoller):

Als der Menschen Schar dereinest
nach dem Osten auf sich machte,
wusst’ der Eine stets aufs Feinest,
was der And’re sprach und dachte.
Fröhlich im Vereine
rief man sich im Nu
hier das Allgemeine
stets im Urwort zu.

Auf, ihr Brüder,
brennt die Ziegel!
Brecht das Siegel
sterblich Lebens!
Uns’re Namen künden Lieder:
Krone allen ird’schen Strebens.

Ziegel wird aus Lehm gegossen,
Erdharz gründet fest die Mauern,
die zu Sinear entsprossen:
Bauwerk, ewiglich zu dauern.
Auf zum Himmelszelte!
Bunter Menschheit Schar
lockt der unverstellte
Ruhm gen Sinear.

Stein auf Steine,
Schicht auf Schichte,
hin zum Lichte,
aufwärts steige,
bis am End’ selbst Gott alleine
uns’rem Werk sein Haupte neige.

Da fährt Gott voll Zorn hernieder,
sieht der Menschen ruchlos Walten:
Stein auf Steine! Wieder! Wieder!
Nichts zwingt sie zum Innehalten.
Einig Sprach’ und Zungen,
einig Will’ und Wort.
Ist dies Werk gelungen,
dauert’s ewig fort.

Engel, eilet!
Dies zu enden
will ich senden
Pestilenzen.
Die ihr Krankheits Keim verteilet,
weiset mir dies Volk in Grenzen!

Menschen, die gleich Brüdern waren,
sieht man Zung’ und Sprach’ sich wirren.
Matt lässt’s Volk die Steine fahren,
um in fernste Land’ zu irren:
Dumpfer Wälder Hitze,
Nordlands eis’ge Luft.
Gottes Erben Sitze,
Gottes Sohnes kühle Gruft.

Süden, Norden,
Osten, Westen,
ziehn die Besten.
Bangheit steiget,
dass der grimme Gott mög’ morden,
was ihm Ehrfurcht nicht bezeiget.

Sieht voll Zweifel Gott ins Weite:
Die nach seinem Bild erschaffen’
und von seiner Seuch’ entzweite
Menschheit scheint’s dahinzuraffen.
Blickt von hoher Warte
auf sein Volk herab,
wägt mit sich im Rate
Für und Wider ab.

Engel, eilet
nun auf’s Neue,
die ihr Treue
habt geschworen!
Unter meinem Volk verteilet
Heilung, dass es nicht verloren!

So erreicht in letzter Stunde
der verstreuten Menschen Wohnung
ihrer Rettung frohe Kunde:
Gottes Gabe der Verschonung.
Doch nach kurzem Fristen
sorgt man sich um Trug
und entführt mit Listen
jener Heilung Krug.

Zu den Bergen
gegen Morgen
voll der Sorgen
durch die Pforte
zieh’n sie, winzigklein gleich Zwergen,
bergen ihn an diesem Orte.


Nun bin ich sicherlich der Letzte, der das beurteilen könnte, aber für mich persönlich rangiert dieses Poem recht weit oben unter denjenigen Goethe-Gedichten, die Goethe nicht geschrieben hat.

Und auf welchen Ort nun am Ende verwiesen wird ... Darüber weiß der Roman zu berichten, sowie - wer weiß - demnächst an dieser Stelle auch dieses Blog.

Unsere Reihe "Dichtung und Wahrheit" wird in jedem Fall fortgesetzt.

Bis dahin aber bleibe ich wiederum Ihr und Euer


Stephan M. Rother

Dichtung und Wahrheit (1): Ein Wort zuvor

Ich hab viel nachgegrübelt in den letzten Tagen. Ein wenig Abstand vom just in time ist ja nicht das Schlechteste - manchmal, immer oder doch immer wieder.


Hätte ich mich z.B. überhaupt zur Affäre um den Verteidigungsminister a.D. äußern sollen? Die schärfsten Kritiker der Elche waren bekanntlich ... Der Leser ahnt es. Wobei ich doch in diesem Fall ganz frei in den Spiegel schauen kann. Ich wäre nie, nie, nie auf die Idee gekommen, irgendwelche Textpassagen abzukupfern, akademisch oder sonstwie. Dazu schwurbel ich selbst zu gerne rum.
Mal ehrlich: Was kann es Schöneres geben, als irgendwas zu Papier zu sudeln und dabei zu wissen, dass eine wissenschaftliche Koryphäe gezwungen sein wird, das aufmerksam zu lesen? Eigene Gedanken, eigene Theorien - etwas Neues, noch nicht Dagewesenes. Ist das nicht das Faszinierende an der Wissenschaft?
Also, mir hat das Spaß gemacht, und ich kann gar nicht verstehen, wie sich jemand diesen Spaß entgehen lässt. Vielleicht hängt das mit dieser mehrfachen Camouflage zusammen: Das Missverständnis besteht nicht darin, dass wir einen Politiker für einen Doktor gehalten haben, sondern darin, dass wir einen Schauspieler für einen Politiker gehalten haben. Naja, und da darf ich mich nun wirklich äußern. Die Performance gerade am Ende war jedenfalls richtig mies.


Auf der anderen Seite: Ich hatte ja diesen Grützbeutel im Bein - und das war durchaus richtig eklig, weil sich das Gewebe, das da nicht hin gehörte, bis in den Muskel gefressen hatte und ich immer noch Probleme mit dem Laufen habe. Kaum zu glauben, aber das hätte tatsächlich äußerst unangenehm werden können - und es wäre ja einfach gewesen, das auch in dieser Weise darzustellen. Denn natürlich ist auch ein Grützbeutel ein Tumor, und es ist wirklich nicht vergnüglich, im Anschluss an so einen Eingriff einfach weiter durchzupowern, wie ich das gemacht habe. Wegen der Verantwortung und so, oder, ganz ernsthaft: Weil ich glaube, dass das, was ich in meinen Büchern schreibe, tatsächlich Relevanz hat. Und bestände sie nur darin, den Leser an der einen oder anderen Stelle für einen Moment ins Grübeln zu bringen.


Und ich glaube, dass ich an dieser Stelle etwas verstanden habe. Zwar wiederhole ich gebetsmühlenartig, ein Roman müsse für sich allein stehen können. Was zum Verständnis notwendig ist, müsse zwischen den beiden Buchdeckeln gesagt sein.

Doch das ändert eben nichts daran, dass da noch mehr ist. Dichtung - und Wahrheit eben. Auf eine Weise ist der gedruckte Text dann eben doch nur die Spitze des Eisbergs. Hat Albert Einstein tatsächlich Segeltouren auf dem Schwielowsee unternommen? Existiert das Paläographische Institut in Weimar realiter? Lässt sich "Händels" absonderliches Babylon-Oratorium wirklich auf die von Stevie Styx entdeckten Versatzstücke intonieren? Ist es tatsächlich möglich, von Castel del Monte aus den Monte Vulture anzuvisieren - an eben jenem Punkt, an dem am 13. Dezember 1250 Sonne und Venus hinter den Horizont sanken?


Diesen und ähnlichen Fragen möchte ich unter dem Label "Dichtung und Wahrheit" nachgehen. Im Grunde sind es typische "faqs", wie sie einen Autor erreichen. Warum soll ich das immer nur konkret auf den Punkt beantworten? Dann doch lieber im Zusammenhang.

Mit Abstand. Für das ganze Bild.

Mit dem nächsten Posting geht's los. Bis dahin bleibe ich Ihr und Euer


Stephan M. Rother

Mittwoch, 2. März 2011

Schmerzliche Trennung

"et si scandalizaverit te manus tua abscide illam", rät lt. Aussage des Evangelisten Markus der Heiland raunend (Markus 9,43. Text der Vulgata). "Und wenn deine Hand dich ärgert, so haue sie ab." Es sei besser, als Versehrter ins Paradies einzugehen denn in aller wünschenswerten körperlichen Integrität in die Hölle. Und das will einiges heißen. Die körperliche Integrität ist nicht unwichtig in alter christlicher Tradition. In jenem frühmittelalterlichen Moment, in dem sich das Christentum hierzulande ausbreitet, dass es eine Freude ist, ist es auch vorbei mit der Urnenbeisetzung, und plötzlich sind Körpergräber der letzte Schrei. Wenn man sich also trennt vom ärgerlichen Körperteil, muss es da schon schwerwiegende Gründe geben.

Nun, am Ende führte wohl kein Weg mehr dran vorbei. Hinfort mit dem räudigen, infizierten Gewebe!

Ein Atherom (vulgariter - nicht Vulgata - "Grützbeutel") ist eine unappetitliche Ansammlung von Haut- und Talggewebe, die sich unter einer verstopften Talgdrüse bildet. Tritt nicht allein bei unserer Spezies aus, sondern auch bei Artverwandten, und offenbar spielt eine gewisse erbliche Disposition eine Rolle.

Nun, der Chirurg wusste mich zu trösten: Es sei kein Zufall, dass mein Vater nach seinem Vierzigsten quasi keine Probleme mehr gehabt hätte mit den Grützbeuteln. Das könne auch bei mir der Fall sein (gut, ich hoffe mal, dass es auf zwei, drei Jahre nicht ankommt). Jedenfalls bin ich's gestern nun los geworden, das ärgerliche Gewebe - und interessante Gespräche mit dem Chirurgen gab's sogar noch gratis. Ja, ich recherchiere selbst auf dem OP-Tisch. Ich bin fest davon überzeugt, dass z.B. in Sachen Krampfadern noch längst nicht alle literarischen Register gezogen sind. Aber davon wird noch zu berichten sein.

Augenblicklich habe ich Anweisung, mich zwei, drei Tage unter Tramadol-Dröhnung aufs Sofa zu legen, habe aber festgestellt, dass ich die Dröhnung überhaupt nicht nötig habe. Gut, natürlich hat man Schmerzen, wenn man plötzlich eine tennisballgroße Einheit weniger Autor ist als vorher, aber das liegt nun in der Natur der Sache.


Also arbeite ich am Epilog zum Rungholt-Roman, nachdem ich in den letzten Tagen gemeinsam mit den Betalesern den Haupttext noch einmal durchgesehen habe. So weit sich das aus meiner doch recht subjektiven Perspektive sagen lässt: Ich find's spannend. Nur immer schade, dass ich das Ende schon kenne.

Das werde ich nun nicht unbedingt vorab berichten, doch das eine oder andere Detail gibt's vielleicht doch noch vor Erscheinen (Herbst 2011, Penhaligon) des Romans.

Und zwar wie immer an dieser Stelle von Eurem und Ihrem


Stephan Rother

Dienstag, 1. März 2011

+++ breaking news +++ Guttenberg erklärt Rücktritt +++ Rother steht wg. Kaffeeschalen-Affäre (1997) für Nachfolge nicht zur Verfügung +++