Samstag, 25. September 2010

But round the corner there may wait

Wie unschwer zu erkennen, haben Professor Tolkiens Gedichte es mir im Moment mal wieder besonders angetan. Vielleicht liegt's an der Jahreszeit. Ich bin ja ein Zugvogel, und gerade wenn der Herbst mit Nebel und grauem Morgentau seine Fühler ausstreckt, hält es mich oft schwer auf den Hinterbacken.



Noch schwerer aber fällt das Umkehren. Wer die Karte der näheren Umgebung einigermaßen genau im Kopf hat, weiß zwar sehr genau, wohin dieser oder jener Weg führt, was dahinterliegt, wenn man jetzt rechts abbiegt, und dann, hinter der nächsten Wegbiegung ... Auch die größte Reise beginnt mit dem ersten Schritt, wie sich Mr Baggins/Beutlin äußerste. Zugvogel der ich bin habe ich meine Wanderungen jedenfalls fortgesetzt und bin dabei - Koinzidenz? - den Spuren der einen oder anderen Geschichte gefolgt, die der Leser möglicherweise kennt.

Ich habe die wichtigsten Schauplätze für den 'Adler', das 'Geheimnis' bzw. den 'Fluch des Dorian Grave' hier einmal zusammengestellt.
Eine größere Darstellung, auf der die Landmarken dann auch zu erkennen sind, findet sich hier.



Linien schwarz:
Asphaltierte Straßen (dick)
Fuß-/Reit-/Radwege (dünn)

Linien blau:
Elbe-Seiten-Kanal (dick)
Bachläufe (dünn)

Linien violett:
Bahnlinien

Symbole rot:
Siedlungen

Örtlichkeiten mit Bezug zum „Adler der Frühe“ (grün)
1) *Kloster Hartheim
2) Burg Bodenteich
3) Angriff auf Schwester Agnetha und Bruder Bjørn (Topogr. Landesaufnahme 1771)
4) Meister Emils Schweinemast
5) Versteck des Magisters (Höllberg; Dt. Grundkarte 1:5.000 et al.)
6) Hügelland, Herrschaftsgebiet des Roten Drachen

Örtlichkeiten mit Bezug zum „Geheimnis des Dorian Grave“ (blau)
1) *Waldlingen / Klosterruine Hartheim
2) *Kerkendorf
3) Flowing Blackness – (Erdölförderanlagen beiderseits der Straße Dreilingen-Unterlüß; Dt. Grundkarte 1:5.000 et al.)
4) Sometimes right is really wrong – (Abzweigung Waldweg Richtung Süden)
5) Interlude – (Waldweg)
6) Train – (Bahnstrecke Hannover-Celle-Uelzen-Hamburg)
7) Forstort Schoten bei Hösseringen – (Versammlungsort der Lüneburgischen Ritterschaft; Schweinemast; Topogr. Landesaufnahme 1770)
8) Erhaltene Reste des Engelsweges mit Pflaster aus der frühen Neuzeit
9) Breitenhees (Fernstraßen aus Celle, Lüneburg und Braunschweig, der Hauptorte der Söhne Heinrichs des Löwen, treffen aufeinander)
10) Ort von Dorian Graves Unfall (nahe Suderburger Kreisel)
11) Ursprung des Daller Bachs bei Dalle und Lohe (Dt. Grundkarte 1:5.000 et al.)
12) Heutiges Aufeinandertreffen der Kreise Gifhorn, Uelzen und Celle
13) Mordahlsgrund
14) Ketzloh
15) Wolfswinkel
16) Albeloh
17) Eidesloh
18) Espenloh

Örtlichkeiten mit Bezug zum „Fluch des Dorian Grave“ (orange)
1) *Waldlingen / Klosterruine Hartheim
2) *Kerkendorf
3) Seishorn (Topogr. Landesaufnahme 1771); Saison (Dt. Grundkarte 1:5.000)
4) Steinschütte auf der linken Seite des Asphaltweges (Dt. Grundkarte 1:5.000; Urmesstischblatt von 1899 verzeichnet Hügelgräber)
5) Bannhorst (Dt. Grundkarte 1:5.000 et al.)

Anmerkung: Liebe potentielle Kirchenkiller. Natürlich bietet sich u.U. die Chance, mich an einer der dargestellten Örtlichkeiten ohne Zeugen um die Ecke zu bringen, wenn ich da mal wieder rumlaufe. Ich bitte aber zu bedenken, dass die Chance, dort auf mich gestoßen, bedeutend geringer ist als die Aussicht auf eine Begegnung mit a) Wildschweinen, b) untoten Mönchskreaturen aus dem Nebel oder c) dem Hartheimschen Familiendrachen.

Ich jedenfalls hatte in letzter Zeit einige höchst sonderbare Begegnungen.



Vor einigen Wochen hatte ich ja von unserer Aktion zum Adler der Frühe berichtet: Wir haben achthundert Exemplare des Romans an die Kurverwaltung in Bad Bodenteich übergeben, und sechs Euro von jedem verkauften Exemplar sollen den örtlichen Naturschutzprojekten zu Gute kommen. Zugegeben: Eine Prise Egoismus ist natürlich auch dabei; schließlich laufe ich da ständig rum und freue mich dran. Doch in den letzten Wochen wollte ich ganz bewusst Örtlichkeiten aufsuchen, die im Adler-Roman eine besondere Rolle spielen: Das Hügelland, über das der Rote Drache herrscht, Magister Wasmods Zufluchtsstätte oberhalb der Ilmenau, wo es zu jener unerwarteten Begegnung mit dem *hüstel* Schwertkämpfer kommt, aber als Fernziel auch jenen Ort, der damals "Hartheim", in späterer Zeit aber "Waldlingen" genannt wird - in "dem Kosmos", versteht sich. Eine liebe Freundin bezeichnet das Grave-Universum als "Kosmos", und ich finde immer mehr Gefallen an dieser Bezeichnung.



Jedenfalls war ich vergangene Woche in einem besonderen Winkel dieses Universums unterwegs, an der Magister-Schwertkämpfer-Begegnungsstätte nämlich, die sich bei genauer Lektüre als der Höllberg identifizieren lässt, der sich am am Ostufer der Ilmenau unweit des Dorfes Overstedt erhebt. Zu Fuß ist das ein Spaziergang von vielleicht anderthalb Stunden hin und zurück; und das Schöne ist, dass ich auf diese Weise ein Gefühl dafür bekomme, wie das für Schwester Agnetha und den, yep, Schwertkämpfer ausgesehen haben mag. Nun billigt der Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz dem Ilmenaulauf zwischen den Dörfern Overstedt und Kuckstorf lediglich die Strukturgüte IV zu ("deutlich veränderter Gewässerabschnitt"), aber für mich sieht's einigermaßen urig aus (lediglich die Betonbrücke stört, die vermutlich ein älteres hölzernes Bauwerk ersetzt, das auf dem Urmesstischblatt von 1877 zu erkennen ist).



Als ich diesen Pfaden folgte, befand ich mich auf eine seltsame Weise inside the story, sah vor mir, wie Schwester Agnetha und ihr Begleiter ihre Pferde den steilen Hügel hinabtreiben, erst unten im Dorf am Schöpfbrunnen wieder Halt machen ... Den Schöpfbrunnen habe ich mir dabei einen Ort weiter geliehen, in Häcklingen, aber wir dürfen wohl davon ausgehen, dass zu Schwester Agnethas Zeit in Kuckstorf ein Gegenstück vorhanden war.

Sonst jedenfalls war alles da: die steile Anhöhe, der Platz unter den alten Eichen, die beiden Reiter ... Die beiden Reiter?

(Herzlichen Dank an die zwei- und vierbeinigen Angehörigen der Familie Fuhrmann für die Fotoerlaubnis).

Yep. Ich war dermaßen perplex, doch ich musste sie einfach im Bild festhalten, obwohl ich ins Stottern kam, als ich meine Beweggründe erklären wollte - bis eine der Damen plötzlich blinzelte: "Sie sind doch Herr Rother?" Die Antwort, ein korrigierendes "Ich bin der Geist, der stets verneint", blieb mir im Halse stecken. An und für sich war ich der Meinung, ich hätte mich wie üblich bis zur Unkenntlichkeit getarnt (weniger wegen der Passanten; aber beim Drachen weiß man nie, ob er nicht noch ein Hühnchen mit mir zu rupfen hat. Und dieser Kerl im dunklen Mantel - auch da lässt sich schwer sagen, wo und vor allem wann er ist).



Wie auch immer ... Die Dame wandte sich an ihre Begleiterin (Tochter): "Das ist dein Schriftsteller!" und es entspann sich ein kleiner Dialog über die Dorian Grave-Bände. Ein seltsames Erlebnis. Ich musste wieder an Rilkes Charakterisierung der 'Buddenbrooks' denken, über das Leben, das gut und gerecht ist, indem es geschieht. In Wahrheit sind wir tatsächlich inside the story.

Einige Tage später. Der 22. September, Bilbos und Frodos Geburtstag. Das war mir gar nicht bewusst, but round the corner ... Diesmal in Richtung Waldlingen und Danlo, wo Nebelkreaturen hausen und eine spezielle Form der Elektrizität. Gut, das Wetter war klar und sonnig, aber der Turm war mir schon aus anderthalb Kilometer Entfernung ins Auge gefallen, aber als ich dann davor stand, war ich doch wieder sprachlos (was den Turm weniger irritiert haben dürfte als die Reiterinnen).




Erscheint es verwunderlich, dass ich dieser Tage einigermaßen inspiriert bin in Sachen Schreiben?

Bis zum nächsten Mal bleibe ich Ihr und Euer

Stephan M. Rother

Dienstag, 7. September 2010

The road goes ever on and on

EINS. Verdammich, verehrte Leserschaft, da hab ich doch was großspurig angekündigt, und dann ist’s doch irgendwie untergegangen … Wir erinnern uns: Hier in meinem Büro gibt es eine Reihe von Schubladen (die beiden unteresten klemmen ein wenig), in denen ich Manuskripte und Entwürfe sammle, die im Laufe der *schauder* bald drei Jahrzehnte angefallen sind, in denen ich jetzt schreibe. Neben Romananfängen und drei oder vier vollständigen Romanmanuskripten, die (maybe for the best) bis heute nicht erschienen sind, verstecken sich dort auch eine Reihe von Geschichten aus dem „Waldlingen-Universum“, an dem ich ja seit unter dem Strich schon seit zwei Jahrzehnten zu Gange bin. Da es in diesem Jahr nun keinen neuen Dorian Grave-Band gibt und ich gleichzeitig von den Kettenlesern angesprochen wurde, ob ich nicht Lust hätte, etwas zu ihrer Sommeraktion beizutragen, habe ich das Konvolut einmal ein wenig entstaubt und eine Story ausgewählt, die mir zum Thema Sommer und Urlaub recht gut zu passen scheint – oder gerade nicht? Die Leserschaft möge selbst entscheiden.
„An der Grenze“ ist siebzehn Jahre vor „Das Geheimnis des Dorian Grave“ angesiedelt und damit vor Leonies Geburt. Vertraute Gesichter kann ich trotzdem versprechen. And here it is:

http://www.kettenleser.net/forum/index.php?page=Thread&threadID=569



Sarah und Katja von den Kettenlesern haben uns übrigens vergangenen Monat hier in unserem Domizil ihre Aufwartung gemacht und mich mit neugierigen Fragen rund um Leonie, Dorian, aber auch um Amadeo Fanelli und Professor Helmbrecht gelöchert. Sobald das Interview online nachzulesen ist, werde ich … Hm, vielleicht sollte ich den Mund nicht zu voll nehmen diesmal. Aber ich geb mir Mühe; zumindest das ist versprochen.

Es sind ereignisreiche Wochen im Moment. Vielleicht wäre es sinnvoller, häufiger einmal kleinere Bloghäppchen einzustellen, wenn es Neues mitzuteilen gibt (vermutlich ist das ja gar der grauenhafte Sinn der Bloggerei). Jedenfalls, Punkt zwei des heutigen Sermons betrifft eine Aktion, die mir sehr, sehr am Herzen liegt:



ZWEI. Vor ziemlich genau zehn Jahren (ein Monat fehlt noch) ist mein Debütroman „Der Adler der Frühe“ in einem kleinen Mittelalter-Verlag erschienen. Nun war dieses Buch – wohl aus Vertriebsgründen – niemals in größerem Ausmaß im Buchhandel erhältlich; in den letzten Jahren faktisch gar nicht mehr. Ich habe das immer sehr bedauert, der Verlag sicher noch viel mehr (er hat’s schließlich finanziert). Schließlich trägt sich die Handlung der mysteriöse Geschichte an keinem geringeren Orte zu als hier. Ja, genau hier, im Marktflecken Bodenteich. Allerdings nicht jetzt, sondern im Jahre des Herrn 1292. Dabei ist die Geschichte aktueller denn je.



Wer den „Fluch des Dorian Grave“ konsumiert hat, wird dort einem geheimnisvollen, wechselweise Latein, Arabisch und Hebräisch sprechenden Schwertkämpfer begegnet sein, und genau dieser Schwertkämpfer … Aber ich will nicht zu viel verraten. Gut informierte Kreise behaupten jedenfalls, dass die unheimlichen Erlebnisse der Augustinernonne Agnetha, der Amme Annafrid, des Undercover-Franziskaners Bruder Björn und des Schmiedes Benno die Lektüre lohnen. Seltsame Namen? Hey, das Pferd heißt „Fernando“. Noch Fragen? Aber ich glaube, das hab ich alles schon einmal erzählt.



Worüber ich nun noch nicht berichtet habe, ist Folgendes: Nachdem es mir gelungen ist, die Restauflage des „Adlers“ komplett vom Verlag aufzukaufen, war die Frage, was ich damit anfange. Wie gesagt, das Buch ist gut, aber ich brauche keine achthundert Stück davon. So entstand der Plan zu einer außergewöhnlichen Aktion:
Die Handlung des Romans trägt sich wie gesagt in Bodenteich zu, und der … nennen wir ihn weiter den Schwertkämpfer; ich will nicht zu viel verraten … Der Schwertkämpfer ist sehr viel in eben jenen Wäldern unterwegs, durch die auch mich meine Expeditionen führen. Ein wenig menschenscheu ist er auch (wobei ich immer höflich grüße; große Teile der Population erwidern das auch, Einzelfälle, Rehe, Nacktschnecken ausgenommen) … Er ist ein Kräuterkundiger, dieser Schwertkämpfer, steht mit dem Tanacetum und dem Febrefugiam auf Du und Du, versteht sich auf den Flug der Greifvögel. Das Gebiet unseres freundlichen Kurorts muss in jener Zeit tatsächlich auf weite Strecken einem gigantischen Erlenbruchwald geglichen haben mit Heide (hierzulande faktisch eine Kulturlandschaft; durch Rodung entstanden) und Wald in den höher gelegenen Regionen. Eine Landschaft von ganz eigener, urtümlicher Faszination, die heute bis auf kleine Reste verschwunden ist. Diese Reste (einige Aufnahmen der letzten Wochen illustrieren diesen Beitrag) zu erhalten, ja, mitzuhelfen, begradigte Bachläufe in ihren natürlichen Zustand zurückzuführen, den Eisvögeln eine Heimat, Fledermäusen ein Quartier für den Winter zu geben … tausend Dinge, die mir am Herzen liegen. Daher die angesprochene Aktion.



Von jetzt an ist der Adler der Frühe wieder erhältlich. Nicht mehr für den ursprünglichen Preis von 8,59 Euro, sondern für glatte sieben Euro. Allerdings nur bei der Kurverwaltung auf der Burg zu Bad Bodenteich, die sechs Euro vom Verkaufspreis den Naturschutzprojekten rund um das Gelände zuleiten wird. Ein großer, gewaltiger Kreis, wie ich ihn liebe: Eine siebenhundert Jahre alte Geschichte leistet ihren Beitrag, ihr eigenes Erbe zu bewahren. Leider habe ich noch nicht herausgefunden, wo ich sehen kann, wie viele Leser auf mein Blog zugreifen, aber die Profilseite wurde wohl etwa sechshundert Mal angeklickt. Man stelle sich vor, die würden alle das Buch kaufen! Das wären dreineinhalbtausend Euro!!! … Da muss 'ne Fledermausoma lange für stricken. Deshalb meine Bitte: Wer schon immer mal ein Buch von diesem seltsamen Menschen lesen wollte, der sich da alle paar Wochen im Blog zu Wort meldet: Der Adler der Frühe ist jetzt zwar zehn Jahre alt, aber wirklich noch lesenswert. Bestellungen nimmt die Kurverwaltung Bad Bodenteich entgegen:

Kurverwaltung Bad Bodenteich
Burgstraße 8
29389 Bad Bodenteich

Telefon 05824 / 3539
Mail t.nowotny@bad-bodenteich.de



DREI. Noch gut ein Monat bis zur Buchmesse – und zum Erscheinen des „Babylon-Virus“. Ein neues Abenteuer mit Amadeo, Rebecca und dem Professor. Selbstverständlich werden wir in Frankfurt sein – nähere Details folgen. Ich freue mich wieder auf tolle Gespräche mit Euch und Ihnen, bleibe aber jetzt erst einmal in bewährter Weise Ihr und Euer


Stephan M. Rother