Mittwoch, 29. April 2009

Die besten Geschichten ...

Die besten Geschichten, verehrte potentielle Leserschaft, schreibt ohne jeden Zweifel das Leben.

Eine solche berichtete ich gerade meinem Mentor. Man stelle sich folgende Situation vor:

SAMSTAG FRÜH, HALB SECHS! Ein Mordsradau! Wir denken, oh Gott, der Spielmannszug. Nein, er war es nicht. Es war ein LKW mit offener Ladefläche, der besoffenen Mannschaft, einer Stereoanlage und mannsgroßen Boxen mit Marschmusik!

Replik meines Mentors:

"Dafür würde man in Österreich erschossen, in der Schweiz verklagt, und in Italien steht sowieso keiner so früh auf."

Ich musste das einfach gerade loswerden :)

Samstag, 18. April 2009

Am Schweinesuhl

Der Eisenbach? Der kommt aus einem Schweinesuhl!

So, verehrte potentielle Leserschaft, sprach Fred von Hartheim zu mir. Selbiger, sollte ich erläutern, nimmt eine nicht exakt definierte Position im Ensemble "Schafspelz" ein. Auf jeden Fall gehört er zur prominent vertretenen Rhythmussektion dieser Nachwuchsformation, mit der Lady Ginevra, meine langjährige Bühnenpartnerin, jetzt die Mittelaltermärkte dieser Republik unsicher macht. Ein Weg, den ich nicht mit ihr gehen konnte, den wir aber gespannt und mit Wohlwollen verfolgen.



Zurück zu Fred - oder besser zu seiner Aussage Eisenbach-bezüglich. Ich kannte Fred bisher nur als Installateur oder Installateursähnliches (irgendwas hat er hier mal repariert), doch als ich im August vergangenen Jahres seinen Künstlernamen "von Hartheim" hörte, wurde ich natürlich hellhörig. Der Name Hartheim wird den Lesern des Dorian Grave sicherlich vertraut sein, und sie werden sich an dieser Stelle möglicherweise fragen, wie Fred ihn schon vor Erscheinen des Romans kennen konnte. Verbalinspiration? Schon. Auf eine Weise. Allerdings war diese nicht über den Grave-Roman geschehen, sondern über meinen Debüt-Roman Der Adler der Frühe, und der lag schon eine Reihe von Jahren vor. Also nichts Übersinnliches - bis hier. Die Geschichte um Schwester Agnetha, den Franziskaner Bruder Björn, den Müller Benno und Amme Annafrid ist natürlich schon ziemlich spooky und antizipiert zumindest im Sinne des musikalischen Kontexts the shape of things to come. Mit anderen Worten: Bei näherem Hinsehen war mein Geschreibsel schon immer ein wenig sonderbar.

Aber wir waren beim Schweinesuhl - oder genauer gesagt: Ich war noch nicht dort - bis heute. Hierzu ist zu bemerken, dass am Ende des Adlers der Frühe von der Gründung eines Klosters an einem Ort namens "Hartheim" berichtet wird. Dieser Ort ist recht eindeutig verortet, und zwar jenseits der Hügel, die den mittelalterlichen Marktflecken Bodenteich im Westen überragen, vulgariter: Die Wierener Berge. Auch die Lage von Leonie Hartheims Heimartort Waldlingen (im Schatten mittelalterlicher Klosterruinen) kann der Ortskundige ungefähr bestimmen: Ein Stückchen östlich der Bundesstraße 4, anscheinend etwas südlich der Siedlung Breitenhees. Alles zusammengenommen ergibt recht gute Möglichkeiten zur Lokalisierung. Jedenfalls erscheint es nicht völlig unsinnvoll, Waldlingen und seinen Nachbarort Kerkendorf rund um die Heideorte Bokel und Nienwohlde zu suchen. Und aus Nienwohlde kommt er, der Eisenbach. Und der Fred. Fred von Hartheim also und der Schweinesuhl.



Ich war mir nicht vollständig sicher, was ich mir unter einem Schweinesuhl vorstellen sollte. Mir war lediglich bekannt, dass sich Schweine eben suhlen. Um Details zu kennen, war ich der Spezies einfach nicht vertraut genug. Im Zuge meiner quellenkundlichen Wanderungen nach Danlo hatte ich mir aber schon seit einiger Zeit auch den Schweinesuhl vorgenommen. (Zur exakten Lage Danlos möchte ich übrigens keine weiteren Angaben machen. Society must be protected. Und die Quelle erst recht.) Das Quellwasser der uralten Siedlungskammer rund um Wrestedt, Stadensen, Nettelkamp, Nienwohlde zählt zum reinsten und besten, das im Norden Deutschlands zu finden ist, auch wenn das Wasserwerk Stadensen II heute aus weit größeren Tiefen in unseren Wasserhahn fördert. Die Quellen versiegen, verwandeln sich in Schweinesuhle ... Nun, heute war es so weit.

Die Quelle des Eisenbachs liegt eingebettet in einen locus amoenus, dass dem Humanisten schier schwindlig wird. Da ist zunächst einmal der Ort Nienwohlde selbst (die Vorgängersiedlung +Bornwohlde konnte die Forschung bis heute nicht eindeutig identifizieren; das mach ich noch). Die Bewohner bessern dieser Tage gerade wacker die Einfahrt vor ihrem Spritzenhaus aus. Auch da muss es eine Quelle geben - sonst stände es nicht gerade dort. Vermutlich haben sie sich schon gewundert, warum dieser silberne Hyundai da neuerdings zwei Mal am Tag im Schritttempo vorbeifährt und auf den Straßen verschwindet, die nirgendwo hinführen. Nur zum Schweinesuhl. Im Norden erhebt sich der Höhenzug des Streisenbergs (eiszeitlich, wie fast alles hier), im Süden dies Ausläufer der Mollberge. Offenbar haben dort einmal Hügelgräber existiert - ob es deren Überreste sind, die ich gefunden habe, da bin ich mir nicht ganz sicher. Was ich gefunden habe, waren Steine. Viele Steine. Verflucht große Steine. Eines der Anfang der Woche durchwanderten Täler der Mollberge trägt übrigens den Namen "Bannhorst". Die genaueren Zusammenhänge werden dem aufmerksamen Leser klar werden, wenn er im Oktober den Fluch des Dorian Grave in Händen hält. (Vielleicht ist das für den einen oder anderen Leser sogar interessanter als Schweinesuhle & Spritzenhäuser: Der zweite Teil der Geschichte um Leonie Hartheim und ihre Freunde wird Herbst bei Baumhaus erscheinen, und was Sie an dieser Stelle lesen und Ihr an dieser Stelle lest, ist die Entstehungsgeschichte - auf eine Weise.)



Dieser Schweinesuhl ist ein faszinierender Ort. Ich hatte heute das Glück, auf Eingeborene zu stoßen, zwei Damen beim Walking. Es ist mir auf meinen Expeditionen immer sehr wichtig, in Kontakt mit den Eingeborenen zu kommen, auch wenn man manchmal etwas skeptisch angeschaut wird, wenn man fragt, ob das Wasser jener sumpfigen Senke wohl unter dem angrenzenden Feld hindurchsickert und auf der anderen Seite als Eisenbach wieder zum Vorschein kommt. Genau das geschieht nämlich! Wir könnten geradezu vom Danlo-Phänomen sprechen. Die Damen waren sehr freundlich zu mir, obwohl ich nicht genau erklärt habe, warum mir das alles so wichtig ist. Heute Abend merkte ich gegenüber meiner Frau an, dass man mich vermutlich für seltsam gehalten habe, und ob es nicht besser gewesen wäre, eine kurze Erläuterung meiner Intentionen zu geben. Sie ermunterte mich, besser weiter zu schweigen. Es wäre möglich, dass ich keine Auskünfte mehr erhielte, wenn den Leuten klar werde, wie seltsam ich tatsächlich sei.



"Das sind die Quellen dort unten", erklärten mir die Damen. Nein, das sei kein Oberflächenwasser. Das ist im Ort bekannt. "Die Quellen gehen dann weiter, überall im Ort. Und unter der Straße durch - und auf der linken Seite war dann früher der Teich." Die Welt, die uns umgibt, ist magisch. Diese Dinge sind uralt (nicht der Teich. Der war gestaut). Wir können nur stotternd nachbuchstabieren, was andere vielleicht als selbstverständliche Wahrheit wussten. Und über all dem liegt der Schleier des Geheimnisses.

„Alles auf der Welt hat mit allem zu tun“, sagt Rainer Hartheim am Beginn des zweiten Grave-Romans zu seiner Tochter. „Nur ist das oft auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Das, was wir Wirklichkeit nennen, ist nur Kulisse. Ein Vorhang, ein großes Stück Stoff, hinter dem sich die wahren Zusammenhänge verbergen.“



Rund um den Schweinesuhl ist das Gelände zu feucht, um bewirtschaftet zu werden, doch weiter oben, auf den Sandern und Endmoränen der Eiszeit wachsen die Steine aus dem Boden (wie es gestern Diethelm Lielje formulierte, der gegenwärtig meine Dichterklause anlegt, nach meinen Anweisungen exakt auf das Koordinatennetz des hiesigen Planeten ausgerichtet). Diesen Stein habe ich heute dort gesehen, nicht weit vom Schweinesuhl, von den Mollbergen und dem Ort, der einmal Bannhorst genannt wurde. Nicht immer sind diese Dinge so deutlich zu erkennen.

Bis bald an dieser Stelle bleibe ich Ihr und Euer


Stephan M. Rother