Samstag, 12. April 2008

Beim Karten - Legen


In der Letzten Offenbarung äußert sich eine Figur, die mir besonders ans Herz gewachsen ist - nämlich der kauzige Professor Ingolf Helmbrecht - sinngemäß in folgender Weise: "Puzzlespiele sind doch eigentlich langweilig. Man kann sie doch immer nur in genau einer Weise richtig zusammensetzen." Eine gewagte Einschätzung, zumal für einen Wissenschaftler (einen von Weltruf), aber in diesem Fall gehe ich absolut konform mit dem guten Professor: Wäre es nicht viel faszinierender, wenn es auch anders ginge? Wenn es neue, weitere Möglichkeiten gäbe?

Hier wird die historische Wissenschaft zu einem aufregenden Spielfeld, denn die eine Wahrheit, wie ich an dieser Stelle wohl schon erwähnte, die gibt es eigentlich fast nie. Wahrheit ist es immer erst im Nachhinein. Wahrheit muss oft erst mühsam konstruiert werden - aus der Art und Weise, wie wir eine Sache wahrnehmen: Wenn Frau Clinton und Herr Obama sich im Fernsehen ein Duell liefern, kommt es weniger darauf an, wer von beiden in diesen sechzig oder neunzig Minuten die bessere Show liefert (geschweige denn, wer von beiden die besseren Argumente hat), nein: Im Nachhinein äußert eine Hand voll Kommentatoren und medialer Mulitplikatoren ihre Meinung, und so nach ein, zwei Tagen erfahren wir dann, welcher der beiden uns besser gefallen hat: Obama oder Clinton, Merkel oder Steinmeier, Tim oder Struppi.

Ähnlich ist es oft mit der historischen Wahrheit. Natürlich haben sich bestimmte Ereignisse zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Weise zugetragen - doch wenn die eindeutigen Beweise fehlen, wie das exakt aussah, dann wird Geschichte zu Schrödingers Katze. Uropas erstes Auto war dann nicht rot oder blau (wo sind eigentlich diese hübschen bunten Farben geblieben, die man hier bis vor kurzem noch einsetzen konnte?), sondern es war rot und blau. Es war in keinem und in jedem definierten Farbton gehalten - jedenfalls bis wir den einen, unwiderlegbaren Beweis besitzen, dass es nur eine dieser Farben hatte. Und selbst dann gibt es oft noch Menschen, die glauben, widersprechen zu müssen. In unserer Zeit ist Wahrheit seltsam beliebig geworden. Sie ist vor allem eine Frage der Perspektive.

Mit einem anderen Beispiel setze ich mich im Augenblick bei den Recherchen für Mehr als du wissen darfst auseinander: Die schon erwähnte Ebstorfer Weltkarte. Diese etwa 3 Meter 50 im Quadrat messende Kartendarstellung, der neuesten wissenschaftlichen Wahrheit zufolge gegen 1300 entstanden, wurde gegen 1830 auf einem Speicher des niedersächsischen Klosters Ebstorf wiederentdeckt. Sie hat seitdem nicht aufgehört, die Forschung zu beschäftigen. Dass der Fixpunkt des Interesses heute gar nicht mehr existiert, macht die Sache nur noch faszinierender. Die Ebstorfer Weltkarte wurde 1943 in einem angeblich brandsicheren Bunker des Staatsarchivs Hannover ein Raub der Flammen. Lange vorher hatte man sich bereits bemüht, sie fotografisch zu dokumentieren. Diese Aufnahmen waren dann aber retuschiert worden, frühere Abzeichnungen per Hand womöglich zuverlässiger. Die Karte hat, als sie sich zwischen 1834 und 1943 in wissenschaftlich-musealer Obhut befand, wohl stärker gelitten als in den Jahrhunderten der Vergessenheit auf einem Klosterspeicher. Auch die Kopie in Originalgröße, die heute in Ebstorf zu bestaunen ist, gilt als nicht völlig zuverlässig. Jedenfalls: Wilde wissenschaftliche Diskurse liefert man sich um dieses Stück. Bedeutende Teile der Karte fehlen in der Überlieferung komplett, von "Frevlerhand" herausgetrennt, schon im 19. Jahrhundert. Warum geschah das? Warum geschah es so säuberlich? "... es geschah offensichtlich mit Bedacht und unter größtmöglicher Schonung der angrenzenden Bilder", schreibt der wahrhaft renommierte Kunsthistoriker Horst Appuhn. "Also ging es wohl um die darauf gemalten Darstellungen, sei es, um sie zu erhalten, sei es, um sie zu verheimlichen."

Was für eine These von einem Wissenschaftler in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung (KUGLER, Hartmut (Hrsg.): Ein Weltbild vor Columbus - die Ebstorfer Weltkarte. Weinheim 1991). Das hat doch Stoff für einen Thriller.

Es könnte ein Thriller werden.

Für heute bleibe ich Ihr und Euer

Stephan M. Rother

Samstag, 5. April 2008

Mehr als Sie wissen dürfen


Und nun ist es offiziell, verehrte potentielle Leserschaft: Vergangene Woche hatte ich über einem (übrigens sehr schmackhaften) Spaghetti-Eis ein längeres Gespräch mit Holger Boden, dem Redaktionsleiter des Isenhagener Kreisblatts. Entgegen anders lautender Gerüchte war das Thema nicht ausschließlich der Musikgeschmack unserer gemeinsamen Adoleszenz, wobei dieses Thema (nämlich Musik) eng mit dem eigentlichen Gegenstand verknüpft war.

Dieser Gegenstand war nämlich zum einen die bevorstehende Veröffentlichung des Mystery-Thrillers "Mehr als du wissen darfst" (formerly known as "Grave's Land"), zum anderen mein bevorstehender Abschied von der Bühne, den wir pünktlich zur vierzigsten Wiederkehr meines Ehrentages im Oktober d.J. zu inszenieren gedenken.

In Holger Bodens Der Magister hört auf überschriebenenen Beitrag wird mir der schmeichelhafte Vergleich mit David Bowie zuteil - wieder einer der Helden aus goldener Jugendzeit. Falls es mir gelingen sollte, halb so lange halb so cool zu bleiben, will ich nicht klagen. Andererseits bin ich damit binnen einer Woche mit Guido Knopp, Michael Mittermaier (in einem Beitrag von Janina Fuge in der Allgemeinen Zeitung für die Lüneburger Heide) und eben mit David Bowie verglichen worden (sowie mit einem Fünfzehen-Faultier, aber das ist eine andere Geschichte). Jedenfalls hängt die Latte dann doch recht hoch.

Jedenfalls erfahren Sie, verehrte potentielle Leser, nunmehr auch erste Details zu Mehr als du wissen darfst: Die geheimnisvolle Ebstorfer Weltkarte wird eine Rolle spielen, das mysteriöse Ableben des Gothic-Rocksängers Dorian Grave und natürlich meine geliebten Quellen. Vielleicht werden sogar die Fans des Adler der Frühe ein dejá vù erleben (möglicherweise gar eins, auf dem die accents nicht per Zufallsgenerator gewählt wurden). Nur, in welcher Weise das alles zusammenhängt - das ist mehr, als Sie wissen dürfen - jedenfalls im Augenblick.